02. Mai 1911
Einen unheimlichen Fund machten hiesige Spaziergänger gestern nachmittag im Rabensteiner Wald in der Gegend zwischen der Pleißaer Straße und dem Totenstein. An einem Baume fanden sie die Leiche eines Erhängten, in dem später der seit dem 20. April vermißte 76jährige Weber Barth von hier festgestellt wurde, der in der Wiesenstraße wohnhaft gewesen war. Der Leichnam befand sich infolge von Verwesung und Benagung von durch Waldgetier bereits in einem derartigen Zustand, daß er an Ort und Stelle bestattet werden musste. Barth war am 18. April 1835 geboren, war Witwer und hinterlässt 6 Kinder.
06. Mai 1911
Heute feierte Herr Prokurist Oskar Hermann Nagel sein 25jähriges Jubiläum im Dienste der Firma Theodor Stiegler, Strumpfwarenfabrikation, Lungwitzerstraße 23. Herr Bürgermeister Dr. Patz fand sich deshalb vormittags im Geschäfte der Firma ein und überreichte im Beisein der Firmeninhaber, Frau verw. Stiegler und Herr Stiegler jun., dem Herrn Jubilar unter einer feierlichen Beglückwünschung das unter Glas und Rahmen gebrachte städtische Ehrendiplom für 25jährige ununterbrochene Tätigkeit in ein und demselben Betriebe.
10. Mai 1911
Einen in der Neustadt wohnenden Milchhändler traf gestern ein empfindlicher Schaden, indem an der Nutzunger Straße, unweit der Villa des Herrn Baumeisters Hötzsch, das von einem Oberlungwitzer Gutsbesitzers leihweise überlassene Pferd scheute. Der Wagen stürzte in den Straßengraben und der Inhalt der Milchkrüge, vermischt mit eine größeren Anzahl zerbrochener Eier, floß auf den Erdboden. Das Tier raste dann mit dem entleerten Wagen den Coder-Weg entlang dem heimatlichen Stalle zu Bei dem Vorhaben, das scheue Tier zu fangen, geriet der Führer des Geschirrs unter den Wagen, scheint aber zum Glück keine Verletzungen erlitten zu haben. Übrigens konnte das Unglück noch schlimmer werden, da gerade zur Zeit das führerlose Geschirr den Bahnübergang am Coder-Weg passiert hatte, ein Eisenbahnzug vorüber fuhr. Für den Milchhändler ist der Schaden umso schwerer, da vor einiger Zeit sein Pferd verendet und ein zweites gegenwärtig an der bornaischen Krankheit leidet und kaum wieder aufkommen dürfte.
11. Mai 1911
Feuersignale riefen heute Vormittag bald nach 10 Uhr unsere Wehr zu einem Brande in der Semmlerschen Nadelfabrik (frühere Neu-Oberlungwitzer Schule) ausgebrochen war. Beim Härten des Stahles war Oel übergelaufen und in Brand geraten ; die Flammen konnten aber sehr bald gelöscht werden, denn hilfsbereite Hände waren schnell und in genügender Zahl zur Stelle, die dem Brande mit Aufwerfen von Sand, Asche und dgl. Einhalt zu tun versuchten und auch Erfolg hatten, sodaß die Feuerwehr nicht einzugreifen brauchte. Zwar schien es anfangs, als sollte der Brand eine gefährliche Ausdehnung annehmen, aber es ging noch ziemlich glimpflich ab und der Schaden ist kein so sehr bedeutender.
23. Mai 1911
Ein recht leichtsinniger Schütze übte gestern Vormittag seine Kunst im an der König Albertstraße und Ecke Zeißigstraße gelegenen Garten aus. Die Kugel flog über den dort angebrachten Bretterzaun, durchschlug die Fenstertafel einer Parterrewohnung und Pfiff über den Tisch hinweg in die Wand, wo sie dann absprang. Der ganze Vorgang ist noch glücklich abgelaufen, konnte aber gefährlich werden, da erst einige Minuten zuvor die verheiratete Tochter des Wohnungsinhabers zum durchgeschossenen Fenster hinausgesehen hatte.
30. Mai 1911
In recht rüpelhafter Weise benahmen sich gestern gegen abend drei junge Burschen auf der Dresdner Straße neben dem Stadtpark. Sie rempelten ohne jede Veranlassung ein die Straße daherkommendes junges Mädchen an und belästigten sie in anstößiger Weise. Als sich dies ein in Begleitung des Mädchens befindlicher junger Mann energisch verbat, wurden die rohen Burschen tätlich gegen ihn, sodaß in kurzer Zeit eine regelrechte Schlägerei im Gange war. Dem Begleiter des Mädchens wurde dabei der Anzug sehr beschädigt. Die Burschen, die von auswärts stammen, verschwanden schnell unerkannt.
31. Mai 1911
Einen Mordversuch an seiner Geliebten und einen Selbstmordversuch unternahm heute um Mitternacht in Wüstenbrand der in Hohenstein-Ernstthal, Karlstraße 24, wohnhafte Paul Otto Teumer. T. der erst 19 Jahre zählt, unterhielt mit der nicht im besten Leumund stehenden 22 Jahre alten Anna Marie Hösel in Wüstenbrand ein Liebesverhältnis, das die H. aufheben wollte, angeblich weil ihr geliebter liederlich sei. Gestern amüsierten sich beide noch auf dem hiesigen Jahrmarkt und begaben sich dann gemeinsam nach der Behausung der Hösel im oberen Dorfe, oberhalb Bechsteins Restaurant. Auf dem Wege dahin mag nun die H. ihrem Geliebten ihren Entschluß, mit ihm zu brechen, mitgeteilt haben, worauf es vor der Haustür eine Auseinandersetzung zwischen den beiden kam. Nach kurzem Wortwechsel zog Teumer ein Rasiermesser, daß er in einem Etui bei sich führte, hervor und schnitt dem Mädchen damit oberhalb des Kehlkopfes den Hals durch. Der Mordbube ergriff hierauf zunächst die Flucht, kehrte aber, als die H. laute Hilferufe ausstieß, zurück, wie angenommen wird, beabsichtigte er, seinem Opfer völlig das Lebenslicht auszublasen. Mittlerweile hatte sich aber zahlreiches Publikum an jener Stelle, wo sich das Liebedrama abgespielt, angesammelt. Da mag Teumer nun erst die Schwere seine Tat eingesehen haben, er unternahm einen Selbstmordversuch, indem er sich mit demselben Rasiermesser, daß er zu dem Mordversuch benütze, eine Verletzung der Pulsadern beibrachte; seine Verwundung ist jedoch nicht bedenklich, währen die H. bis heute mittag noch nicht vernehmungsfähig war. Ein Samariter leistete dem T. die erste Hilfe, worauf Herr Dr. med. Beulich die weitere Behandlung übernahm und auch der H. ärztlichen Beistand leistete. Eine große Menschenmenge hatte sich an dem Ort der blutigen Tat angesammelt, als T. festgenommen ward. Heute Vormittag erfolgte seine Überführung nach dem Amtsgericht Limbach, während das schwer verletze Mädchen nach dem Chemnitzer Krankenhause gebracht wurde. Daß Teumer mit der Absicht umgegangen ist, seine Geliebte zu töten, erhellt wohl schon aus der Tatsache, daß er das Mordwerkzeug bei sich führte. Wäre es ihm gelungen, bei seiner Rückkehr nach dem Schauplatz seiner grausigen Tat noch einmal sein Opfer zu erreichen, so wäre es vielleicht völlig um das Leben des Mädchens geschehen gewesen.