6. Juni 1904
Seit einigen Tagen halten sich in unserer Stadt wieder besuchsweise einige seit Jahren in Amerika wohnende, hier geborene ehemalige Hohenstein-Ernstthaler auf, um kurze Zeit in der alten Heimat zu verweilen. Einen derselben Herr August Neubert, war seit über 20 Jahren von hier abwesend. Wenn sich auch in diesem Zeitraum in unserer Stadt vieles verändert hat, so dürfte doch den Deutschamerikanern der Besuch in der alten Heimat so manche Jugenderinnerung ausrichten. Anfang Juli treten die Amerikaner wieder die Heimreise an.
Der Neubau des an der Chemnitzerstraße, gegenüber dem Neustädter Schützenhause, gelegenen abgebrannten Badergutes der von Herrn Bauunternehmer Frinzel ausgeführt wird, macht ansehnliche Fortschritte. Er ist bereits unter Dach gebracht. Es dürfte nur noch einige Wochen dauern und das große geräumige Gebäude, das von allen vier Seiten frei steht und sonnige Wohnungen enthält, kann bezogen werden. Der Bau wurde um einige Meter von der alten Straße entfernt nach dem Garten zu errichtet.
9. Juni 1904
Einen Einbruch bei seinem Logiswirt Herrn Bäckermeister F. in der Lichtensteiner Straße, verübte in der Nacht zum Sonntag der Malergehilfe L. Er öffnete gewaltsam den Backraum und erlangte dadurch Zutritt zum Laden, in dem er die Kasse plünderte, wobei ihm aber angeblich nur ein Betrag in Höhe von einer Mark in die Hände gefallen ist. Er wurde auf frischer Tat ertappt und nach „Nummer sicher“ gebracht.
16. Juni 1904
Ein schweres Unglück trug sich heute vormittag gegen ½ 10 Uhr an der Einmündung der Moltkestraße in den Bahnhofsplatz zu. Zwei bei Herrn Steinsetzmeister Köhler beschäftigte Handarbeiter, Kluge aus der Dresdnerstraße 68, und Fritzsche, waren beauftragt einen Wagen mit einem 500 Liter Wasser enthaltenden, eisernen Faß die Moltkestraße hinab nach dem Bahnhof zu fahren, wo gegenwärtig Pflasterungsarbeiten ausgeführt werden. Auf der abschüssigen Straße vermochten die Arbeiter den Wagen nicht zu halten und mit großer Wucht prallte er an den rechtsseitigen Zaun, der auf eine Länge von 5 bis 6 Metern beschädigt ward, und Kluge, der die Deichsel führte, erlitt hierbei schwere Verletzungen an Arm und Kopf; man vermutet einen Schädelbruch. Nachdem ihm Herr Dr. Sommer den ersten Beistand geleitet, ward Kluge nach dem städtischen Krankenhaus gebracht. Eine Schuld an dem Unglück soll niemand beizumessen sein.
20. Juni 1904
Die Zahl der Dampfessen in unserer Stadt wird gegenwärtig wieder durch eine vermehrt. Seit kurzem sind Essenbauer damit beschäftigt, eine solche hohe und starke Esse in der Neustadt im Hofe der Dampfdestillation Paul Weigelt an der Oststraße in die Höhe zu bringen. Herr Weigelt nimmt eine Vergrößerung seines modernen Betriebes vor.
23. Juni 1914
Am Sonnabend wurden der Jubelfirma F. Oskar Zwingenberger, die bekanntlich ihr 50jähriges Bestehen feiern konnte, noch weitere Ehrungen zuteil. Die Angestellten und Arbeiter ließen ihren Chefs in aller Morgenfrühe durch das städtische Orchester je ein Ständchen bringen. Eine Abordnung der bei der Firma Beschäftigten erfüllte einen Akt der Pietät gegenüber dem früheren Chef, indem sie am Grabe des Firmengründers einen großen wertvollen Kranz niederlegte und eine weitere Abordnung überreichte in dem festlich geschmückten Privatkontor neben einer künstlerisch ausgeführten Erinnerungstafel mehrere Geschenke. Neben den Vertretern der Stadt waren auch verschiedene Vereine sowie eine ganze Anzahl von Geschäftsfreunden usw. zur Beglückwünschung erschienen. Abends vereinigte sich ein Festmahl, zu dem etwa 500 Gedecke aufgelegt waren, Arbeitgeber und –nehmer im Altstädter Schützenhaus-Saale. Dieser Teil des Festes nahm einen besonders harmonischen Verlauf; zu seiner Belebung trugen eine von der Arbeiterschaft gestiftete Festschrift, Festreden, Tafellieder und turnerische Vorführungen aufs beste bei, so daß während der Feier allgemein festliche Stimmung herrschte.
Gestern abend gegen ½ 11 Uhr hätte sich an der Bahn-Ueberführung der Goldbachstraße am Beck´schen Sägewerk leicht ein folgenschweres Unglück ereignen können. Ein fremdes, von der Goldbachstraße herkommendes Auto, das so wenig die Gegend kannte, daß es vorher schon nach dem Güterbahnhof zu fuhr, durchraste die Ueberführung, als eben ein Straßenbahnzug mit drei vollbesetzten Wagen vom Bahnhof her nahte. Lediglich der Tatsache, daß der Motorführer an der gefährlichen Stelle sehr langsam fuhr, ist es zu danken, daß es dem Autolenker noch gelang, sein Fahrzeug so zu bremsen, daß es kurz vor den Straßenbahnwagen hielt: hätte sich aber ein Unglück zugetragen, so hätte die Schuld allein das Auto gehabt, dessen Insassen übrigens von den entrüsteten Augenzeugen mit kräftigen Vorwürfen bedacht wurden.
30. Juni 1914
Das Erdbeben, das sich in der Nacht zum Sonnabend wie in unserer Stadt so auch in einem großen Teile Sachsens bemerkbar machte, hatte nach den gemachten Beobachtungen seinen Herd in Leipzig. So weit Nachricht über den Erdstoß vorliegt, ist ein Schaden nicht angerichtet worden. Die Erschütterungen waren teils so stark, das Schlafende erwachten, Wände zitterten und Gegenstände umfielen. Die Bodenbewegung pflanzte sich von Ost nach West fort. Ueber die Ursache lies sich jedoch bis zur Stunde noch nichts ermitteln. Besonders in den Leipziger Vororten machte sich das Beben stark bemerkbar und verursachte ein starkes Schwanken des Bodens. In vielen Häusern blieben die Uhren stehen und Fenster klirrten. Das Beben war von unterirdischem Getöse begleitet, das schon auftrat, bevor das Beben erfolgte und seinen Höhepunkt im Moment der Erderschütterung erreichte.