03. Mai 1912
Am vorigen Freitag erschien bei einem Bäcker in der Lichtensteiner Straße ein angeblicher Malergehilfe Fritz Schmidt aus Düsseldorf und logierte sich dort ein. Unter dem Vorgeben, seine Papiere von auswärts holen zu wollen, borgte er sich des Bäckers Fahrrad und machte sich auf und davon; er ist bis heute noch nicht zurückgekehrt. Der Mann ist etwa 26 Jahre alt, von schmächtiger Gestalt, hat blonden Schnurrbart, braune Gesichtsfarbe, trägt schwarzen steifen Filzhut und grauen Jackettanzug. Das Rad, Marke „Superior“, hat schwarzen Rahmenbau und weiße Felgen.
07. Mai 1912
Unser Berghaus hatte gestern einen wichtigen Tag: Nicht nur, daß sich der herrliche Maisonntag in zahlreichem Besuch äußerte – von früh bis spät ist der Berg nicht eine halbe Stunde ohne Ausflügler und Spaziergänger gewesen -, sondern die vom ersten Bergfest her noch in schöner Erinnerung stehenden roten Gartenschirme spannten das erste Mal für diesen Sommer ihre schützenden Zelte aus und gaben dem Ganzen einen reizvollen Anstrich. Ihr Aufstellen mag ausdrücken, daß die Zeit der Ausflüge nicht ohne merkbare Spuren für unsere Stadt bleiben möge – ob sich nicht gestern schon die einsetzende Zugkraft unserer Bergschöpfungen auch in der übrigen Stadt bemerkbar gemacht hat? -, daß vor allem die einzigartige Fernsicht von unserem Höhenrücken mehr und mehr bekannt werden möge. Die zahlreichen Fremden, die sie gestern das erste Mal genossen, haben unauslöschliche Eindrücke mit fortgenommen.
10. Mai 1912
Frau Karoline verw. Selbmann, die 26 Jahre lang als Hebamme der Einwohnerschaft von Ernstthal bez. Hohenstein-Ernstthal ihre Dienste gewidmet hat und zurzeit in Eppendorf im Ruhestand lebt, wurde von der Stadtverwaltung in dankbarer Anerkennung der bewiesenen Treue und Anhängigkeit ein Ehrendiplom verliehen.
14. Mai 1912
„Hallenweihe des Turnerbundes“
Wetterglück! Wahrlich, unser Turnerbund muß bei dem himmlischen Wettermacher gut angeschrieben stehen, sonst hätte sein Fest unter so günstigen äußeren Umständen kaum stattfinden können! Noch am Sonnabend sah es keineswegs verlockend aus. Abends regnete es etwas und in der Nacht wurde es auf einmal unter dem Einfluß einer südwestlichen Luftströmung so warm, daß man für den Sonntag das Schlimmste befürchten mußte. Und doch wurde es ein herrlicher, nur etwas zu heißer Frühlingstag, der de, Feste den programmmäßigen Verkauf gestattete. Lustig blähten sich im Morgenwind und Sonnengold die Flaggen und Girlanden, die in allen Straßen den festlichen Tag begrüßten und schon in der zwölften Mittagsstunde zog Verein auf Verein in unsere Stadt ein, um an den Festlichkeiten teilzunehmen. Und gegen 2 Uhr bewegten sich Tausende von Menschen in den Straßen und alles zog hinauf auf den Berg, wo schon von weitem die Turnhalle und das Berghaus grüßten. Daß die Halle die Teilnehmer an dem für unsere Verhältnisse riesigen Festzug nicht fassen würde, war vorauszusehen, nicht aber konnte man ahnen, daß die Halle schon von Hunderten besetzt war, ehe der Festzug überhaupt nach dem Berge kam. Richtiger und den Begriffen der Weihe entsprechender wäre es wohl gewesen, wenn der Kommers am Sonnabend noch gar nicht in der – ja erst noch zu weihenden – Halle, sondern vielleicht im Altstädter Schützenhaus stattgefunden hätte, wenn die Halle bis zur Ankunft des Festzuges verschlossen gewesen wäre und dann nach der feierlichen Uebergabe der Schlüssel sich die Halle mit fremden und hiesigen Turnern gefüllt hätte. So hatten sich in der Halle unzählige Kinder, einzelne Personen in sehr saloppen Kostümen und junge Leute beiderlei Geschlechts, die zur Turnerei in keiner oder nur in sehr schwacher Beziehung standen, eingefunden und die Turner, für die doch zuerst hätte Platz sein sollen, mußten sich drängen und drücken, um überhaupt von der Weihe etwas wahrzunehmen. Und während der feierlichen Handlung fand Gehen und Kommen statt, so mancher wußte noch nicht, daß man in einem Saale den Hut abzunehmen hat, kurz, es ging nicht so würdig zu, wie es hätte sein sollen. Aber, das sind Dinge, die heute zu den geschehenen gehören und der Vergessenheit anheimgegeben werden sollen. Prächtig war das Bild, das sich nach der Weihe auf dem Turnerplatz entwickelte; die Hunderte von kräftigen jugendlichen Gestalten, die im Wetteifer bestrebt waren, ihr Können zu zeigen, die Tausende festlich gekleideten Menschen, die dem turnerischen Wettstreit zusahen und oft ihren Beifall kundgaben, dazu die herrliche, frühlingsgrüne Natur, die den ausgedehnten Platz umsäumte: Alles in allem ein Bild, wie es nur wenige Städte im Sachsenlande zu bieten vermögen, ein Bild, das sich auf Jahre hinaus dem Gedächtnis unauslöschlich einprägt.
23. Mai 1912
Recht unkollegial benahm sich ein hiesiges junges Mädchen gegen eine auf dem Altmarkt wohnende verheiratete Nebenarbeiterin. Sie stahl aus den in der Fabriksgaderobe hängenden Kleidern der letzteren den Wohnungsschlüssel, verließ die Arbeitsstätte für einige Zeit, öffnete die Wohnung und durchwühlte sämtliche Schränke und die Kommode vermutlich nach Geld, ohne solches zu finden. Dann ging sie wieder an ihre Arbeit und steckte den Schlüssel wieder in der Garderobe in die Kleider. Als am Nachmittag die Frau nach Hause kam, wurde sie sofort gewahr, dass unberufene Hände nach Sehenswertem gesucht hatten, denn das Mädchen hatte die Wohnung in der größten Unordnung zurückgelassen. Das Mädchen gestand schließlich den Diebstahlversuch ein, da sie sich zuvor verdächtig gemacht hatte.
30. Mai 1912
Gestern mittag machte ein in der Neustadt wohnender Musiker bei einem Spaziergang über die sogenannten „Waldplätze“ an einem auf Wüstenbrander Flur (zwischen der fiskalischen Straße und dem Bahnwärterhäuschen) gelegenen Teiche einen grausigen Fund. Er fand, im Wasser liegend, einen Menschen tot vor, der ungefähr 35-38 Jahre alt sein mochte. Er zog den Körper aus dem Wasser und meldete dann den Fund im Wüstenbrander Gemeindeamt, welches für Aufhebung und Überführung der Leiche nach der Totenhalle sorgte. Jedenfalls hat der Mann den Tod freiwillig gefunden, denn man fand in seinen Kleidern Papiere, auf den Namen eines Tiefbauarbeiter Dreißig aus Chemnitz-Hilbersdorf, sowie einen Abschiedsbrief an seine Frau und Familie und ein Rasiermesser. Geld hatte er nicht bei sich. Der Körper hat jedenfalls schon einige Tage im Wasser gelegen.