01. Oktober 1910
Wir berichteten vor einiger Zeit über eine Zeugen unseres früheren Erzbergbaues, über die sogenannte Eisenhöhle im Fürstlich Schönburgischen Walde. Heute wollen wir noch eines solchen alten zeugen aus jener Zeit Erwähnung tun. Wir meine die „Rote Mühle“ im Goldbachgrunde, die auch noch ein Überbleibsel des einstmals schwungvoll betriebenen Bergbaus ist. Die „Rote Mühle“ dürfte nach alten Archivaufzeichnungen mindestens ein Alter von 550 Jahren haben und ist entstanden, als der Bergbau in höchster Blüte stand. Sie ist eigentlich ein Pochwerk gewesen und gehörte damals zum Lampertusschacht. Während man damals das Arsenik im Hüttengrunde verarbeitete und das Silber nach Freiberg schaffte, wurde in der „Roten Mühle“ das Gold sortiert und bearbeitet, sodaß der vorbeiführende Bach den Namen Goldbach erhielt. Die einsam und idyllisch im Tale gelegene Mühle könnte vieles aus der alten Väterzeit erzählen, wenn das alte, vom Zahn der Zeit arg mitgenommene Gemäuer reden könnte. An ihr vorbei führte auch der Kirchweg nach Oberlungwitz, da bekanntlich unsere damals junge Stadt noch nach dort eingepfarrt war. Später, als der Bergbau zurückging, wurde die Mühle zum Getreidemahlen eingerichtet, und, während viele Mühlen der Umgebung ihre Tätigkeit infolge der fortschreitenden Technik einstellen mußten, übte der jetzige Besitzer der Mühle Herr Otto Uhlig, der sich nun etwa 27 Jahre in ihrem Besitze befindet, dieses Handwerk noch heute aus und oft tagelang kann man das lustige Klappern hören. Es war ein glücklicher Griff unseres heimischen Malers Herr Baumgärtel, daß er die „Rote Mühle“ im Bilde verewigte und selbiges unserem Stadtmuseum überwies.
09. Oktober 1910
Gestern überfuhr ein hiesiger junger Mann auf der Schützenstraße die 9jährige Tochter eines dort wohnenden Bahnbeamten. Das Kind wollte über die Straße gehen, wurde aber dabei von dem sehr unvorsichtig und scharf fahrenden Radler niedergerissen, während der junge Mann selbst vom Rade abstürzte. Leider war derselbe rücksichtslos genug und fuhr weiter, ohne sich um das von ihm überfahrene Kind zu kümmern. Von einer hinzukommenden Frau wurde es aufgehoben und in die elterliche Wohnung gebracht. Zum Glück scheint das Kind, außer Hautabschürfungen im Gesicht und den Beinen, keinen nennenswerten Schaden davongetragen zu haben.
12. Oktober 1910
Die erste Plakatsäule in unserer Stadt gelangte heute zur Aufstellung, und zwar auf dem Altmarkt gegenüber dem Eingang zur Apotheke. Die Ausübung der geschäftlichen Reklame durch Anschlag von Plakaten an die bisher im Gebrauch befindlichen Tafeln hat hierorts immer größeren Umfang angenommen, und so dürfte zu erwarten stehen, daß dieser ersten Plakatsäule bald weitere folgen werden.
15. Oktober 1910
Die Heiratsfreude gründlich verdorben wurde dem 24 Jahre alten, im Hüttengrunde wohnenden Fabrikarbeiter Müller. Derselbe war vorigen Herbst vom 106. Infanterie-Regiment in Leipzig, wo er seine Dienstzeit absolviert hatte, entlassen worden und wollte diesen Sommer heiraten. Bei Versorgung der hierzu nötigen Urkunden stellte sich nun heraus, daß Müller eigentlich österreichischer Untertan war. Sein Vater, der bereits 15 Jahre tot ist, war in der Jugend nach hier übersiedelt, ohne jemals die deutsche Staatsangehörigkeit zu erwerben. Die österreichischen Behörden verweigerten nun die erbetenen Papiere und forderten Müller auf, sich der dortigen Militärbehörde zu stellen, welchem Verlangen er auch schließlich gerecht wurde. Er wurde nun dort nochmals für 3 Jahre zum Militär ausgehoben und mußte bereits vorigen Dienstag bei seinem Truppenteile in Oesterreich eintreffen. Da Müller seiner Militärpflicht schon in Deutschland genügt hatte und auch seine alte kranke Mutter unterstützen mußte, reichte er sein Gesuch um Befreiung bei den österreichischen Behörden ein, jedoch ohne Erfolg. Müller ist hier geboren und deshalb in die Rekrutierungsstammrolle mit eingetragen worden, ohne daß damals bemerkt wurde, daß er ausländischer Untertan war.
16. Oktober 1910
Als letzte der diesjährigen größeren Straßenbauten ist vom Stadtrate im Laufe der vergangenen und dieser Woche die Beschotterung der Conrad Claußstraße vorgenommen worden. Die Straße wurde auf ihrer ganzen Strecke mit dem bedeutend härteren sogenannten Hartmannsdorfer Stein belegt. Man verspricht sich davon eine längere Haltbarkeit der Straßendecke und eine geringere Staubentwicklung. Die nötigen Walzarbeiten wurden von der Firma Waka Chemnitz mit der dreihundert Zentner schweren Dampfwalze aufgeführt. Das „gewichtige“ Gefährt ließ sich auch auf der Moltkestraße*1 und an der Kreuzung Schulstraße-Zillplatz sehen wo Ausbesserungen vorgenommen worden. Mit der Beendigung dieser Arbeiten dürfte das heurige Straßenbaujahr für die Stadtgemeinde beendet sein. Es brachte für sie wieder bedeutende Ausgaben, da bekanntlich im Frühjahr die Dresdnerstraße auf eine über einen Kilometer lange Strecke beschottert wurde, deren Kosten sich allein auf über 8000 Mark stellten.
Ein ehrenwürdig Dokument, nämlich die Artikel des Hohensteiner Schneiderhandwerks, erneuert am 1. Mai 1652 durch Wolff Friedrich, Herrn von Schönburg, wurden nachdem sie zum Stadtjubiläum im Rathaussaale mit ausgestellt worden waren, von ihrem Besitzer dankenswerterweise dem Stadtmuseum überwiesen. Es ist hieraus zu ersehen, daß sich noch manche wertvolle Altertümer, die der Allgemeinheit zugänglich gemacht werden sollten, im Privatbesitz vorfinden. Gewiß ist es gut für solche Sachen, wenn sich zu Zeiten der Veräußerung ein Liebhaber für sie fand, der sie vor dem Untergang, aber auch vor dem Wegtragen aus dem Orte bewahrte. Nachdem aber nun ein Stadtmuseum begründet worden ist, wäre es freudig zu begrüßen, wenn die oben erwähnte Unterstützung Nachfolge fände, wobei nicht unerwähnt bleiben soll, daß es auch geglückt ist vorher schon früheres Innungseigentum, wenigstens leihweise, für das Stadtmuseum aus Privatbesitz zu verlangen.
29. Oktober 1910
Einen höchst raffinierten Diebstahl verübte ein Unbekannter gestern an zwei kleinen Knaben; er hielt die zwei Jungen, die 4 und 6 Jahre alt sind und von denen der ältere ein paar neue Stiefel geholt hatte, an, beauftragte den größeren, ihm in einem nahen Laden eine Zigarre zu 10 Pfg. zu holen und wartete nur den Augenblick ab, bis der Junge jenen Laden betreten hatte, um mit den Stiefeln, die mittlerweile der kleinere Knabe trug, schleunigst zu verschwinden. Bis jetzt fehlt von dem Frechling jede Spur, Die bestürzten Knaben konnten nur angeben, daß der Spitzbub ein großer Mensch mit schwarzem Schnurrbart war.