05. November 1910
Von drei 25kerzigen elektrischen Glühlampen, nach Inbetriebnahme gestern abend erstmalig erleuchtet, bot die neue Bahnhofsuhr einen geradezu erfreuenden Anblick. Von der Weinkellerstraße her in die Straße Am Bahnhof eintretend, erblickt man klar und deutlich den Zeitmesser, berufen, die rechtzeitig zum Bahnhofe Gehenden zu beruhigen, die Spätlinge dagegen an die „höchste Eisenbahn“ zu gemahnen. Die städtischen Kollegien verdienen vollsten Dank für das durch ihre Anregung bei der Staatseisenbahnverwaltung Erreichte.
In diesem Monat besteht die Firma Gustav Silbermann hier ihr fünfundzwanzigjähriges Geschäftsjubiläum. Sie wurde im Jahr 1885 gegründet und ein Jahr später vom jetzigen Inhaber, Herrn Max Berndt übernommen, der das Geschäft durch Strebsamkeit und Umsicht zu immer größerer Ausdehnung brachte. Die Geschäftslokalitäten wurden mehrmals vergrößert, ein Beweis, daß sich der Kundenkreis immer mehr erweiterte. Wir wünschen, daß das Geschäft auch in dem neuen Vierteljahrhundert sich weiterer Blüte und Entwicklung erfreuen möge.
15. November 1910
Ein Wasserrohrbruch, der die städtischen Arbeiter und Beamten gegen 2 Uhr nachts zur Arbeit rief, ereignete sich in der Nacht zum Sonntag auf der Karlstraße, wo man gegenwärtig an der durch besondere Umstände erschwerten Legung der Leitungsröhren für die neue Hochdruckwasserleitung arbeitet. Durch den Bruch war ein Teil der oberen Stadt längere Zeit ohne Wasser, während die angrenzenden Keller stark gefährdet waren.
Wenn auch die Rodelbahn noch nicht offiziell eröffnet worden ist, so belustigten sich doch auf dem Köhlerschen Wiesengrundstück im Goldbachgrund die diesem gesundheitsfördernden Sport. Doch meinte es die Sonne zu gut mit dem Schnee, sodaß kurz nach mittag das Vergnügen wieder eingestellt werden mußte.
16. November 1910
Vor einiger Zeit wurde bekanntlich in hiesiger Stadt eine Baugenossenschaft gegründet, die die Errichtung von Wohnhäusern später einmal in eigener Regie unternehmen will. In ähnlicher Weise haben sich auch in einigen umliegenden Orten Mieter zusammengetan und dort ebenfalls Baugenossenschaften gegründet. Dieses Vorgehen ist eigentlich nicht neu. In der früheren Stadt Ernstthal bildete sich bereits in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts eine „Gemeinnützige Baugesellschaft“. Den Anlaß hierzu gab der damals starke Wohnungsmangel, der so fühlbar war, daß grundsätzlich keine Wohnung in Ernstthal zu erhalten war, trotzdem sich in diesen Jahren ein Aufschwung in der Webindustrie bemerkbar machte und infolge der von der Firma Beyer (damaliger Inhaber Herr Fritz Stöhrel) eingeführten Deckenindustrie Ansprüche an größere Wohnungen gestellt wurden. Die Deckenwebstühle waren breiter und schwerer, als die damals üblichen Kleiderstoff- und Westenstühle, weshalb eine Nachfrage nach geeigneten Weberwohnungen immer reger wurde. Und dies gab den Anlaß mit, daß eine Anzahl Bürger zusammentraten und in Ernstthal, der jetzigen Neustadt, eine „Gemeinnützige Baugenossenschaft“ gründeten. Geld wurde damals ebenfalls durch Anteile aufgebracht und es dauerte auch nicht lange – die Stadtbehörde unterstütze den neuen Verein aufs beste -, so konnte an den Bau von Wohnhäusern gegangen werden. So entstanden in der Neustadt damals mehrere Wohnhäuser. Der geschickte Griff der Genossenschaft war, daß sie einige Wohnhäuser anfangs der 70er Jahre in der Nähe des Neustädter Schützenhauses errichtete, wodurch die heutige „Aktienstraße“ entstand. Die in der damaligen Zeit aufstrebende Webindustrie und der billige Baugrund riefen bald Bauluft hervor und es währte nur einige Jahre, so hatten sich Privatleute gefunden, die den eingeschlagenen Weg der Baugenossenschaft weiter förderten und eine Anzahl Häuser auf eigene Rechnung herstellten. An die Aktienstraße schloß sich bald der Anbau der Oststraße an, wo ebenfalls von Jahr zu Jahr weitere Wohnhäuser entstanden und diese Neubauten bald einen Stadtteil für sich bildeten. Infolge der regen Baulust und des dadurch geschaffenen Wohnungsüberflusses trat die „Gemeinnützige Baugenossenschaft“ am 21. September 1874 zusammen und beschloß in der Generalversammlung einstimmig ihre Auflösung. Der Vorstand bestand damals aus den Herren Wilh. Vogel und C.G. Held, Männer, die längst der grüne Rasen deckt, die aber eigentlich die damalige Stadt Ernstthal in der Entwicklung stark mit fördern halfen.
18. November 1910
Wie schon in der letzten Nummer unseres „Tageblatts“ berichtet, wurde in der Nacht zum Dienstag in der Unterkunftshalle des Naturheilvereins in diesem Jahre zum vierten Mal eingebrochen. Die Beute, die den Einbrechern in die Hände gefallen ist, war auch diesmal wie bei den vergangenen Einbrüchen eine minimale, der Schaden an Schränken usw. jedoch bedeutend, beim letzten Mal um so mehr, weil das lichtscheue Gesindel den Geldschrank schwer beschädigte.
Um nun jeden Verdacht von Unschuldigen abzulenken, kam die Verwaltung des Naturheilvereins dem Beschluß seiner Mitglieder nach und ließ einen Zwickauer Spürhund kommen. Herr Wurlitzer ging mit seinem Hund in Begleitung des Herrn Oberwachtmeisters Noack und einiger Mitglieder des Vereins nach dem Vereinsgrundstück. Der Hund nahm in der Unterkunftshalle die Spur auf, wurde dann an der Ostseite der Halle eingesetzt und gab folgende Spur an: Von der Unterkunftshalle aus lenkte er nördlich um die Halle nach Westen, an der Westseite herunter hinter dem Vereinsbrunnen auf den Weg nach der Ostseite der Halle. Hierauf stellte der Hund den Ausgang des Diebes an der Nordspitze des Grundstückes fest.
Von da aus führte die Spur an der Ostseite außerhalb des Zaunes nach den Steinbruch, durch die Erzgebirgsanlagen nach den Ausgang derselben zwischen dem Leng´schen Haus und den Vogelschen und Müllerschen Häusern über die äußere Dresdnerstraße nach der Neuen Straße (genannt Lohschneiderweg) über die Hohe Straße bis an die Chemnitzerstraße. Von da aus verlor der Hund die Spur, was wohl auf den regen Verkehr auf der dortigen Straße zurückzuführen ist. Ist es auch dem gewissenlosen Gesindel diesmal gelungen, unerkannt zu entkommen, so gibt die Verwaltung des geschädigten Vereins die Hoffnung noch nicht auf, es dingfest zu machen. Es werden daher alle Einwohner gebeten, der Polizei sowie der Verwaltung des Naturheilvereins bei der Ausfindigmachung der Einbrecher behilflich zu sein.
Der Verein, der nur gemeinnützigen Zwecken dient, darf sich wohl der sicheren Hoffnung hingeben, daß diese Bitte allenthalben Anklang findet.
27. November 1910
In noch ziemlich körperlicher und geistiger Frische feierte am gestrigen Freitag der auf der Karlstraße wohnende Webermeister und Hausbesitzer Karl Friedrich Funke mit seiner Gattin Wilhelmine die goldene Hochzeit. Dem Jubelpaar, dem sieben Kinder, 27 Enkel und 1 Urenkel zur Seite stehen, wurden im Laufe des Festtags viele Ehrungen bereitet. Auch Herr Pfarrer Albrecht erschien in deren Wohnung und segnete es ein, wobei er eine Ehrenbibel überreichte. Dem hochbetagten Ehepaar sind leider auch des Lebens Sorgen und Stürme nicht erspart geblieben.
Wir schließen uns den zahlreichen Gratulanten an und wünschen dem im Alter von 77 und 75 Jahren stehenden Jubelpaar noch einen langen sorgenlosen Lebensabend.
In einem hiesigen Fabrikbetriebe geriet gestern eine auf der Schützenstraße wohnende jüngere Ehefrau in eine Maschine, wodurch ihr ein Glied des rechten Zeigefingers abgedrückt wurde. Sie mußte sofort in ärztliche Behandlung gegeben werden und dürfte längere Zeit arbeitsunfähig bleiben.