2. August 1914
Große Aufregung herrschte heute kurz vor mittag in unserer anläßlich des Wochenmarktes besonders stark bevölkerten Stadt. Die Polizei hatte einige Leute verhaftet, die man eines verbrecherischen Anschlages verdächtigte, der aber glücklicherweise vereitelt worden sein soll. Im Interesse der sofort aufgenommenen Untersuchung erscheinen nähere Angaben an dieser Stelle unangebracht.
Eine Hilfsstelle für unsere braven Soldaten und ihre Hilfebedürftigen Angehörigen ist im hiesigen Rathause eingerichtet worden, wie aus der amtlichen Bekanntmachung im heutigen „Tageblatt“ zu ersehen ist. Möchten die Gaben reichlich fließen, sie werden allen, die damit bedacht werden sollen, hochwillkommen sein.
8. August 1914
Der König hat auf Vorschlag der Frau Prinzessin Johann Georg abermals eine große Anzahl Carola-Medaillen in Gold, Silber und Bronze an Personen aller Stände verliehen. Unter den mit der bronzenen Medaille Ausgezeichneten befindet sich auch Frau verehl. Oberlehrer Reichard, geb. Temper hier.
Der Stadtrat hat in Verbindung mit mehreren hiesigen Herren Aussicht genommen, auf dem Bahnhofe eine Erfrischungsstation für unsere nach dem Kriegsschauplatz durchreisenden Soldaten zu errichten. Da jedoch sämtliche Militärzüge hier nicht halten, hat man vorläufig von der Einrichtung einer solchen Station abgesehen. Dagegen will man dieselbe in Kraft treten lassen, sobald die Rücktransporte von Verwundeten usw. es erfordern würden.
9. August 1914
Der Krieg zieht bereits unsere Industrie stark in Mitleidenschaft. Einige Webfabriken haben schon die laufende Woche nicht arbeiten lassen, während eine größere Zahl Webfabriken von kommender Woche ab nur noch 2 bis 4 Tage den Betrieb aufrecht erhalten. Besser beschäftigt ist noch die Wirk- und Trikotagenbranche. Einzelne Betriebe derselben haben sogar noch größere Aufträge zu erledigen. Stark beeinträchtigt im Geschäftsgang werden auch andere Industriezweige, so z. B. die Metallwaren und die Baubranche.
12. August 1914
Einem an die Schriftleitung des „H.-E. Tagebl.“ Gerichteten Brief eines hiesigen Landwehrmannes, welcher verspricht, uns Stimmungsbilder aus diesen bewegten Tagen zukommen zu lassen, soweit es die Kriegsgesetze gestatten, entnehmen wir folgendes: Schreiber hofft – und das mit Recht! – daß solche Berichte bei seinen Kameraden im Militärverein im besonderen und bei unseren Lesern im allgemeinen eine gute Aufnahme finden werden, und teilt dann mit, daß mit ihm 15 Hohenstein-Ernstthaler dem 133. Landwehr-Regiment zugeteilt wurden. Er schildert die Fahrt von Glauchau nach Wurzen, auf der die alten Soldaten überall begeistert begrüßt wurden, die schwere Arbeit der kriegsmäßigen Einkleidung, die Begrüßung durch den Major usw. Tiefen Eindruck hat auf die Einberufenen der Abschied von der Garnison hinterlassen – war doch jeder im Geiste bei seinen Lieben daheim. In Gedenken an diese schämten sich die Landwehrmänner nicht der Tränen, die jedem in die Augen traten. Jeder aber auch ist bereit, in felsenfestem Gottvertrauen für das Vaterland zu fliegen oder zu sterben. Alle die vom Schreiber Bezeichneten schätzen es sich zur hohen Ehre, die ersten Landwehrmänner zu sein, die Wurzen verließen, um in wenig Tagen vielleicht dem Feind entgegentreten zu können. Der Brief schließt: „Seid gegrüßt, Ihr lieben Hohenstein-Ernstthaler, von Euren Landwehrmännern vom 133. Regiment, 11, Komp.!“
18. August 1914
Mit heute beginnt in den Schulen unserer Stadt wieder der Unterricht. Die goldene Ferienzeit ist auch für recht viele Kinder diesmal keine fröhliche gewesen. In jeder Klasse gibt es Kinder, die irgendein teures Familienmitglied im Felde haben, und noch in viel größerem Umfange hat die durch den Krieg veranlasste Not und Vorsorge für schwere Zeiten die fröhliche Ferienzeit beeinflußt. Viele Schüler oder Schülerinnen, die sich vor reichlich vier Wochen mit frohen Ferienwünschen von ihrem Lehrer verabschiedeten, erlebten daß dieser jetzt draußen im Felde steht. Statt Ferienreisen- und Wanderungen bewegt unsere Jugend jetzt die Begeisterung für Deutschland Kämpfe. Möge aus dieser Begeisterung heraus echte Treue für Volk und Vaterland erwachen.
Herzlos zeigten sich die Eltern von fünf Kindern, die heute auf dem Wochenmarkt das Mitleid der Menschen erweckten. Die Mutter der Kleinen hat bereits vor Tagen ihren Mann verlassen und sich angeblich zu ihrer Schwester nach Flöha begeben. Der Vater, der Tischler L., wollte sich nun seiner Kinder dadurch entledigen, daß er sie zu seinem auf dem Altmarkt wohnenden Schwiegereltern brachte. Aber auch hier war die Liebe zu den Kindern recht gering. Die Großeltern schoben die Kleinen ab, die nun hilf- und ratlos auf dem Altmarkt standen und bitter weinten. Schließlich nahm sich die Polizei der so herzlos Verlassenen an und sorgte für Ihre Unterbringung im Waisenhaus.
20. August 1914
Nicht weniger als 468 Männer unserer Stadt – 838 Familienväter und 85 Ledige – haben dem Rufe zur Fahne bisher Folge geleistet; weitere 90-40 Familienväter und 50 Ledige – haben Einberufungsbefehl erhalten. Gegenwärtig sind 378 Frauen und 603 Kinder ohne Ernährer zu denen sich bei weiteren Einberufungen noch 40 Frauen und 51 Kinder gesellen. Für diese zurückgebliebenen hat nun die öffentliche Liebestätigkeit einzusetzen, für die in der gestrigen Stadtverordneten-Sitzung weitere beträchtliche Mittel bewilligt wurden.