08. Januar 1911
Ein Einbruch, bei welchem dem Dieb große Beute in die Hände fiel, ward in der Nacht zum Freitag beim Fleischermeister Otto Grabner, Besitzer des Restaurants „Zur Linde“, Lungwitzer Straße verübt. Der Verbrecher hat den Weg zur Wohnung von der Schubertstraße aus genommen, wo er durch den offenen Torweg in den Hofraum von dort durch ein nicht zugewirbeltes Parterrefenster in die Küche und dann in das unverschlossene Wohnzimmer gelangte. Dort hat er vor allem den Kleiderschrank und die Kommode durchwühlt und daraus vieles mitgehen heißen. Außer einer Summe baren Geldes sind gestohlen, wie uns von privater Seite mitgeteilt wird, ein Gehrock, zwei gute Westen und eine Taschenuhr. Anscheinend ist der Dieb gestört worden, denn als der Bestohlene den Einbruch bemerkte, lagen noch zwei Anzüge da, die zum Mitnehmen fertiggemacht waren.
10. Januar 1911
Ein aufregender Vorgang, der aber glücklicherweise noch gut ablief, spielte sich am Sonnabend nachmittag auf der Hüttengrundstraße, neben der Beck´schen Villa ab. Ein vom abschüssigen Berge mit einem Schlitten herabfahrender 12 Jahre alter Junge fuhr direkt durch ein die Straße herabfahrendes Geschirr der Bleicherei Hüttengrund, ohne das er sich dabei verletzte. In der Aufregung hatte er das Geschirr erst spät bemerkende Knabe den Schlitten so geschickt geführt, daß er direkt durch den Wagen fuhr. Glücklicherweise fuhr das Geschirr sehr langsam, da der Kutscher und sein Begleiter von einer Frau die den rodelnden Knaben bemerkte, aufmerksam gemacht worden war.
25. Januar 1911
Zur Warnung diene erneut folgender Fall: Eine auf der König Albertstraße wohnende junge Webersehefrau benutzte gestern zum Anheizen im Ofen Petroleum, welches sie auf die Kohleschaufel schüttete, um die Flammen schneller anzufachen. Kaum hatte die Frau das Petroleum dem Ofen zu nahe gebracht, als es mit einem Knall explodierte und die Flamme der Frau ins Gesicht schlug. Zum Glück erlitt sie nur leichte Brandwunden. Auch wurde ihr das Kopfhaar versenkt.
27. Januar 1911
Das Alte stürzt! Der Abbruch der „Pappelschänke“ hat begonnen, und nicht lange mehr, dann kündet ein geräumtes Grundstück von vergangenen Zeiten, von dem, was war. Wir erzählten vor kurzem erst, von den letzten Wirksleuten, alten biederen Leuten, die mit viel Liebe einen Garten hegten und pflegten, darinnen Blumenbeete in bunter Pracht, mit Buchs eingefaßte Stachelbeersträucher, wonach in der Zeit des Reisens die Kinderaugen lugten, einige Pflaumenbäume und ein Mandelbaum standen, welch letzterer um die Zeit der Blüte mit seiner Farbenpracht entzückte. Heute schweift das Auge noch einmal rückwärts, und zwar zu der näheren Umgebung der „Pappelschänke“, wie sie sich vor ungefähr 40 Jahren bot. Die „Pappelschänke“ war im Osten der Stadt das letzte Haus, wenn man vom Badergut und dem Schützenhaus absieht. Die Oststraße gab es noch nicht und aller Verkehr aus der Stadt nach Osten hin war auf die Chemnitzer Straße angewiesen. Von der „Pappelschänke“ ab bis zum Badergut zogen sich rechts der Straße, die mit großen Kirschbäumen bepflanzt war, Büsche und Sträucher hin, ebenso gab es noch Sträucher – Birken, Eschen, Linden – im Fuchsgraben; dort fand man auch Heidelbeeren: Alles noch Ueberbleibsel des einstigen Waldes, der vom Pfaffenberg bis an das Weichbild der Stadt reichte. Links der Straße plätscherte zur Frühlingszeit oder nach Regengüssen in einem Wiesengraben das Wasser, das heute fein säuberlich in die Flurschleuse gebannt ist. Auch die Aktienstraße gab es noch nicht, kurz: das ganze Gelände, was heute die Oststraße, die Aktienstraße, die Wilhelmstraße und die Chemnitzer Straße vom Pöhlmannschen Hause weg, heute dem Wolfen-Karl gehörig, darstellt, war Feld, Wiese und Steg. Ein solcher führte z. B. von der „Pappelschänke“ schräg über das heutige Fabrikant Schulzesche Grundstück nach der Nutzunger Straße: eine Fortsetzung der Hohestraße oder Obergasse, wo einige Jahre vorher auch das Hötzsche Anwesen entstanden war. Heute liegen Hötzschens, man kann wohl sagen, in der Stadt, damals wohnten sie weit draußen, zur Winterzeit oft fast abgeschnitten vom Verkehr. Jetzt sieht man die Entwicklung, die in dem heutigen Umfange erst einsetzte, nachdem 1877 die Oststraße erbaut war, als selbstverständlich an. Und doch ist es ein gewaltiger Unterschied zwischen einst und jetzt, obwohl das Einst gar nicht so weit hinter uns liegt. Auch andere Sachen erinnern uns lebhaft an den Aufschwung innerhalb des letzten Menschenalters. In den Jahren, von denen die vorangegangenen Zeilen erzählen, da ging der biedere Handwerker in der blauen Schürze und sogar oft noch die Zipfelmütze auf dem Kopfe, in die Kneipe. Und es gab ein rechtes Kneipenleben mit Unterhaltung und Humor. Zwar war der letztere manchmal etwas derb, doch waren die Menschen noch nicht so verzärtelt. Hatten doch die bösen Gäste einmal dem Pappelschänkenwirt die obere Essenöffnung mit einem Kuchendeckel geschlossen, die derselbe mit vieler Mühe erst wieder frei machen konnte, nachdem die Gaststube stark verräuchert war. Ja, die gute alte Zeit!
29. Januar 1911
Seine Lust am Unfug mit dem Tode gebüßt hat gestern abend ein 13jähriger Schulknabe von hier in der gegenwärtig im Abbruch begriffenen „Pappelschänke“. Kaum hat Herr Schreiner-Oberlungwitz mit den Abbrucharbeiten begonnen, so macht sich unsere Jugend darüber her, um der Lust am Demolieren zu frönen. So auch der Sohn Walter des in der Chemnitzer Straße wohnhaften Invaliden Hofmann, der aus der elterlichen Wohnung ein Beil mitnahm, um noch nach 8 Uhr – also zu einer Zeit, wo er zu solcher Arbeit kaum etwas sehen konnte! – zu versuchen, einen Teil der Giebelmauer zum Einsturz zu bringen. Der Knabe hatte die untersten Ziegel heraus, vor welchem Tun ihn seine Spielgefährten warnten – leider erfolglos. Der Knabe setzte sein Zerstörungswerk fort, bis ein Mauerstein von oben herabfiel und ihn so schwer auf den Kopf traf, daß der Kleine mit zertrümmerter Schädeldecke liegen blieb. In die elterliche Wohnung gebracht, starb er gegen Mitternacht. Dieser bedauerlicher Unfall ist also unstreitig auf das Konto der jugendlichen Lust am Unfug zu setzten. Allerdings war das Abbruchsgrundstück nicht gegen ein ungehindertes Eindringen von der Straße aus abgesperrt, aber was alle Absperrungsmaßregeln nützen, konnte man erst gelegentlich des Schleusenbaues am Kroatenweg recht deutlich beobachten. Dort waren alle Vorschriften erfüllt, die Gefahren für Unbeteiligte abzuschließen. Das hinderte aber die Jugend keinesfalls, nach dem Weggang der dort beschäftigten Arbeiter ihre lebensgefährlichen Allotria zu treiben. Möchten allen Eltern diesen tiefbedauerlichen Vorfall zur Veranlassung nehmen, ihre Kinder vor solch frevelhafter und oft recht folgenschwerer Ausgelassenheit recht eindringlich zu warnen, denn gar zu zahlreich sind die Fälle, in denen übermütiges kindliches Spiel und Hantieren an verbotenen Orten zu Schäden führt, die der Betroffene – wenn nicht noch Schlimmeres eintritt, wie in dem vorliegenden Falle – zeitlebens mit sich herumträgt.