03. Januar 1913
Die Neujahrsglockentöne sind verklungen, das „Prosit Neujahr“-Rufen ist verhallt, das Glückwünschen vorüber – wenn nur der zehnte Teil von all dem einträfe, was jedem zum Jahreswechsel an guten und herzlichen Wünschen zum Ausdruck gebracht worden ist, es würde im Jahre 1913 mit ihm sehr gut bestellt sein. Und Glück, das einem von so vielen Seiten gewünscht ward, kann man wahrhaftig immer gebrauchen, mancher glaubt, gar nicht genug davon zu bekommen zu können… Der Übergang vom alten ins neue Jahr ward auch in unserer Stadt nach althergebrachter Art verbracht. Wer noch an alten Volksbräuchen hängt, goß Blei und glaubte dabei an eine besondere Wunderkraft des Silvestertages, andere vergnügten sich im trauten Familienkreise beim dampfenden Punsch, zu dem der Stollen so gut schmeckt, wieder andere empfingen das neue Jahr mit Kling und Klang und Sing und Sang. Als nun von den Kirchtürmen herab das große Klingen anhob, begann allenthalben die mitternächtige Gratulationstour, mehr oder weniger laut erschollen die gegenseitigen Beglückwünschungen auf der Straße und in den Häusern, deren Fenster hell erleuchtet waren und aus denen so mancher dem lebhaften Straßentreiben zusah. Auf dem Altmarkte leitete der Posaunenchor des Jünglingsvereins das neue Jahr mit musikalischen Klängen ein, auf dem Neumarkte gab der „Sängerverein“ dem alten Jahre einen harmonischen Abschied. Beide Veranstaltungen hatten viele Zuhörer angelockt, unter denen sogar die Kleinsten nicht fehlten. Nachdem dann der Glocken letzte Töne verhallt, leerten sich die Plätze und die Silvesterfeiernden suchten die heimischen Stätten auf oder begaben sich in die benachbarten Restaurationen, wo die Feier ihre Fortsetzung fand.
5. Januar 1913
Heute Vormittag in der 10. Stunde fand die erste offizielle Probefahrt auf der elektrischen Straßenbahn von hier nach Gersdorf und Oelsnitz i.E. statt. Der Wagen Nr. 5 war ausersehen, zum erstenmale einen Teil der Strecke zu befahren, um zunächst festzustellen, ob Ober- wie Unterbau den Anforderungen des Betriebes entsprechen. Die Fahrt begann an der Ecke des Beckschen Sägewerks und ging bis zum Gasthof zur „Sonne“ in Gersdorf, da weiterhin noch eine Reihe von Vorarbeiten nötig sind, um die Strecke in vollem Maße betriebsfähig zu machen. An der Fahrt nahmen lediglich die Herren vom Betriebe teil, denen sich Vertreter der Direktion der Bahnbau- und Betriebsgesellschaft in Frankfurt a. M. und der Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellchaft in Berlin angeschlossen hatten. An die Ausgestaltung der Bahn wird nunmehr in beschleunigter Weise die letzte Hand gelegt werden sodaß die Leitung der Bahn hofft, dieselbe in ihrem vollen Umfang am 1. Februar d.J. dem Verkehr übergeben zu können.- Anläßlich der heutigen Probefahrt sei auf eine Begebenheit hingewiesen, die daran erinnert, daß man sich schon vor einer Reihe von Jahren in unseren Städten Hohenstein und Ernstthal mit dem Gedanken einer elektrischen Bahn nach dem Lugau-Oelsnitzetr Kohlenrevier befaßte. Es war zum Kommers, der aus Anlaß der stattgefundenen Vereinigung der Städte Hohenstein und Ernstthal am 1. Januar 1898 nachmittags im Schützenhaussaale zu Ernstthal stattfand, zu welchem Vertreter der vereinigten Städte, sowie der staatlichen Behörden zugegen waren. U.a. wurden dabei auch Ansprachen gehalten von so manchen Stadtvertreter und Bürger, die schon lange nicht mehr unter den Lebenden weilen. Auch der jetzt noch lebende Neustädter Mitbürger Herr Buchhändler Eduard Just brachte unter allgemeinen Beifall eine Zukunfts-Chronik von 1898 bis 1998, die verschiedenes Interessante für unsere Stadt Hohenstein-Er. enthielt, zum Vortrag. Sie enthielt u.a. folgende Prophezeiung: „1904, 5. Mai: Heute wurde die elektrischen Bahn Hohenstein-Er.-Gersdorf-Lugau-Oelsnitz auf feierliche Weise eröffnet. Nachdem vor zwei Jahren die Strecke Bahnhof Hohenstein-Er.-Roter Hirsch-Kasino Oberlungwitz-Bahnhof Wüstenbrand dem verkehr übergeben und selbe sehr gut rentiert, glaubt man auch, daß die neue Bahn sehr gute Erträgnisse geben wird.“ Hat sich auch die Prophezeiung des Herrn Just etwas später und nur zum Teil erfüllt, so sieht man doch, daß Herr Just seinerzeit ein guter Prophet war und sein damals gut gelungener Scherz sich doch noch in die Tatsache umgewandelt hat.
8. Januar 1913
Ein Zeuge aus der Gründungszeit der Stadt Hohenstein, der Lampertusschacht, ist nunmehr in den Besitz unserer Stadt übergegangen, und zwar erstand ihn die Stadt gelegentlich der Zwangsversteigerung, die dieser Tage vor dem hiesigen Kgl. Amtsgericht stattfand, für den Preis von 200,95 Mk. Die in Verfall geratenen Schachtanlagen und Stolleneingänge haben unsere Stadt schon mehrfach Ausgaben verursacht, da sie einen Teil des Leitungswassers aus dem Lampertusschacht bezieht.
15. Januar 1913
Durch einen Betrüger geschädigt wurde der Inhaber einer Waschanstalt in der Lungwitzer Straße. Ein junger Mann verlangte dort einen angeblich einem hiesigen Geschäftsmann gehörigen gereinigten Anzug, der ihm seitens der Tochter des Wäschereibesitzers auch ausgehändigt wurde. Später stellte sich der Irrtum des Mädchens heraus, von dem Schwindler hat man aber nichts wieder gesehen.
Eine Flegelei sondergleichen ist gestern abend zwischen 9 und 12 Uhr in der Bismarckstraße in der Nähe des Krankenhauses verübt worden. An einem Wohnhause wurde die Türklinke mit Kot beschmutzt. Es handelt sich höchstwahrscheinlich um einen Racheakt. Der Geschädigte ist gewillt, demjenigen, der den Täter zu bezeichnen vermag, eine Belohnung zuzubilligen.
12. Januar 1913
Ein herber Verlust hat das hiesige Stadtmuseum betroffen. Ein von Gemeinsinn und Opferwilligkeit beseelter, für den Plan eines Stadtmuseums begeisterter Mitbürger hatte ein vollständiges und besonders schönes Zinnservice zur Ausstellung leihweise überlassen, das nun nach seinem Tode den Erben zurückgegeben werden mußte. Sollten sich unter den zahlreichen Zinnsammlern unserer Stadt nicht einige finden, die aus ihren Beständen das eine oder andere Stück leihweise dem Museum zu überlassen geneigt wären. Dadurch käme dieses in die Lage, seinen Besuchern den ehemaligen Gebrauch von Zinngeschirr wieder vorzuführen. Da eine Aufhäufung derartiger Erzeugnisse einer vergangenen Zeit überhaupt nicht im Plane eines Museums liegen kann, das die Liebe und Wertschätzung für das gute und schöne Alte wecken und erhalten will, so müßte es eigentlich möglich sein, die wenigen Stücke, die der Tod eines treuen Freundes und Gönners entführte, auf obige Weise zu ersetzen. Ein Ankauf kann für das Museum bei dessen geringen Mitteln und den hohen Preisen des Zinngeschirr leider nicht in Frage kommen.
22. Januar 1913
In der letzten Zeit geht die hiesige Stadtbehörde mit Recht scharf dem sogenannten Wackel- und Schiebetanz zu Leibe. Am letzten Sonntag mußten seitens der Schutzmannschaft verschiedene Tänzer und Tänzerinnen, diesen Tanz ausübten, auf das Ungesetzliche ihrer Handlungsweise aufmerksam gemacht und ihnen das Tanzen in der oben erwähnten Weise verboten werden. Bei dieser Gelegenheit ist der Hinweis darauf angebracht, daß derartige Uebeltäter, wenn sie das Verbot nicht beherzigen, strenge Bestrafung und schwere Folgen zu gewärtigen haben.