4. Juni 1913
Ein schweres Unglück trug sich gestern nachmittag gegen ¾ 4 Uhr in der westlichen Könicg-Albert-Straße*1 zu. An der Ecke der Schiller- und Bismarckstraße*2 scheuten vor dem Lastauto des Appreteurs Wurst aus Schönau, da die Plane des Gefährts im Winde flatterte, die noch jungen Pferde des Mehlhändlers Bruno Eisenschmidt aus Altstadt Waldenburg und rasten mit dem leeren Wagen die Schillerstraße hinab. Der Geschirrführer Oswin Winter aus Waldenburg, der als ein sehr zuverlässiger Mann geschildert wird, saß in der Schloßzelle, er vermochte jedoch trotz aller Anstrengungen nicht, die Pferde zu halten. Es gelang ihm aber, das Gefährt in die König-Albert-Straße zu lenken. Dabei schlug der Wagen an den Gaslaternenpfahl, kam auf den gegenüber dem Amtsgericht hinzuführenden Fußweg, drückte das niedrige Eisengeländer auf eine kurze Strecke ab und entwurzelte einen Akazienbaum. Hierbei stürzte das Sattelpferd und der Kutscher wurde durch den Anprall vom Wagen geworfen. Das Pferd erhob sich im nächsten Augenblick wieder und beide Tiere rasten nun weiter, den Kutscher, der die Zügel krampfhaft festhielt, mit sich schleifend. Dabei kam Winter unter den Wagen und zunächst ging ihm das linke Vorderrad über das Gesäß; nun vermochte er die Zügel aber nicht mehr zu halten und er wurde vom linken Hinterrad in gleicher Weise überfahren. Trotz seiner Schmerzen lief der Verletzte seinem Geschirr nach, das endlich an der Einmündung der Bismarckstraße*2 gegenüber dem Selbmannschen Hause zum stehen kam. Hier stieß die Deichsel des Mehlwagens gegen einen starken Straßenbaum, durch den kräftigen Anprall erhielt der Wagen eine plötzliche Wendung, die Deichsel brach mitten durch und deren Stumpf traf das Sattelpferd in den Leib. Die Verletzungen des Pferdes waren schrecklich anzusehen. Am oberen rechten Vorderbein, nahe beim Brustbein, war der Oberschenkelmuskel zerbissen, der in einer Länge von 30 Zentimetern herabhing; ebenso ward dem Pferde die rechte Seite des Brustbeins zersplittert, so daß nach Auslage des Herrn Tierarzt Lauschke, der sofort herbeigeholt worden, eine Wiederherstellung des Tieres ausgeschlossen war. Im Einverständnis mit dem sofort telephonisch benachrichtigten Besitzer, wurde das Tier, das sich nicht legen konnte, an Ort und Stelle durch Herrn Roßschlächter Herold aus Oberlungwitz getötet. Dem Kutscher ward sofort ärztliche Behandlung zuteil und er fand Aufnahme im hiesigen städtischen Krankenhause; seine Verletzungen sind glücklicherweise nicht lebensgefährlich. Dem Besitzer des Geschirrs erwächst erheblicher Schaden, da das Pferd nicht versichert war. Dem Lastauto ist nachgewiesenermaßen keine Schuld beizumessen, da es vorschriftsmäßig langsam auf der rechten Straßenseite fuhr.
5. Juni 1913
Am 1. Juni feierte die Photographische Kunstanstalt von Fr. Lasch, Inhaber Hugo Lasch, ihr 50jähriges Geschäftsjubiläum. Viele Glückwünsche und herrliche Blumenspenden wurden dem Geschäftsinhaber zuteil. Am Montag nachmittag stellten sich viele Kollegen aus nah und fern, von der Sektion Chemnitz des Sächsischen Photographen-Bundes, ein, um ein prachtvolles Geschenk zu überreichen. Ein recht gemütliches Gartenfest, sowie ein sich daran anschließendes Festessen im Hotel „Gewerbehaus“ beschloß die schöne Feier.
8. Juni 1913
Seit einigen Tagen befindet sich auf der Goldbachstraße die schwere Dampfstraßenwalze, um die Straße, die stellenweise sehr defekt ist, herzurichten. Es wird hauptsächlich der mittlere und der nach Oberlungwitz zu gelegene Straßenteil gewalzt. Andere Stellen, so an der Eisenbahnbrücke und am Fuchsschen Grundstück, wurden blos zum Teil mit Steinen und Sand beschottert und gewalzt. Leider wird der Straßenteil zwischen Schiller- und Moltkestraße*3, der sich bekanntlich in sehr schlechtem Zustand befindet und der bei regnerischem Wetter nur mit Mühe zu begehen ist, dieses Mal nicht mit berücksichtigt. Wie wir erfahren, soll dieser Straßenteil erst nächstes Jahr ausgebessert werden.
Eine sehr praktische Erfindung, einen Wicklungsapparat für mechanische Webstühle, hat ein in der Neustadt wohnender Fabrikweber, Herr Richard Sonnekalb jun., gemacht. Die Erfindung, die bereits zum Patent angemeldet ist, hat den Vorteil, daß bei verschiedenen Breiten der Webwaren kein Garn- resp. Kettenverlust eintritt. Es wickeln sich die übrig gebliebenen Fäden bei schmalen Waren selbstständig wieder ab. Die Einrichtung ist leicht an jedem Webstuhl anzubringen und nicht hoch im Preise. In Bewegung gesetzt wird, der Wicklungsapparat durch die Jacquardmaschine.
10. Juni 1913
Seit einigen Tagen sind die 16 resp. 17 Jahre alten Arbeiter Meyer aus der Altstadt und Hofmann aus der Neustadt spurlos verschwunden. Da sie seit der Zeit fehlen, wo der holländische Zirkus von hier fort machte, vermutet man, daß sie demselben nachgelaufen sind. Bis Sonnabend abend waren die Angehörigen der Verschwundenen noch ohne Kenntnis über ihren Verbleib.
13. Juni 1913
Wenn man an festlichen Tagen wie Königs und Kaiser Geburtstag die Straßen durchwandert, so freut sich jeder Patriot an dem zahlreichen Flaggenschmuck. Aber beim genauen Hinsehen findet man darunter Flaggen in der Anordnung „Grün-weiß“. Dies soll nun wohl die Flagge des Königreiches Sachsen darstellen, ist es aber nicht. Die Landesfarben des Königreiches Sachsen sind weiß-grün, während grün-weiß die Farben der sächsischen Herzogtümer sind. Auch „Rot-weiß-schwarz“, anstatt des richtigen deutschen „Schwarz-weiß-rot“ findet man öfter. Dies alles ist ein Zeichen, wie wenig Verständnis viele für die Bedeutung der Flaggen und des Flaggenschmuckes haben. Da doch sicher zum Kaiserjubiläum auch die Häuser unsrer Stadt wieder Flaggenschmuck tragen, erscheint es notwendig, auf den Gebrauch richtiger Flaggen hinzuweisen. Hierzu sei bemerkt, daß die Farben der Flaggen von oben nach unten zu lesen sind, am Flaggenstock muß also das Weiß in den sächsischen Landesfarben und das Schwarz in den Reichsfarben oben sein.
20. Juni 1913
Dumme werden gesucht von einer Handelsfrau, die Parfüms und Seifen feilhält und gleichzeitig ihre Kundinnen veranlaßt, sich von ihr aus der Hand wahrsagen zu lassen. Für ihre betrügerischen Handlungen sucht sie sich namentlich Lokale mit Damenbedienung auf. Die Zukunft will sie dadurch voraussagen, daß sie sich einige größere Geldstücke in die Hand legen läßt, dann ein Tuch darüber breitet und die „Messe liest“. Nach solchem Hokuspokus bringt sie irgendeinen Schwindel über die Zukunft vor und verlangt, damit der Zauber besser wirke, das in der Hand befindliche Geld; kann sie nicht alles erhalten, ist sie auch mit dem einen oder anderen Geldstück zufrieden. In einigen Fällen ist der Frau dieser Schwindel auch schon geglückt; die „weise Frau“, die natürlich nur auf Betrug ausgeht, ist 45 bis 50 Jahre alt, 1,50 Meter groß, hat blatternarbiges Gesicht, trägt dunkles Kleid und schwarzen Koffer mit sich. Es sei dringend vor ihr gewarnt. Wird sie irgendwo bei ihrem betrügerischen Tun betroffen, so benachrichtige man sofort die Polizei.
25. Juni 1913
Das Berggasthaus „Zur Bismarckhöhe“ wird demnächst einen neuen Bewirtschafter erhalten. Herr Fickler hat das Pachtverhältnis gelöst und so wird, wie wir hören, am 1. Juli Herr Kabisch aus Leipzig als neuer Pächter seinen Einzug halten in der so gern besuchten Gaststätte auf luftiger Höhe.
28. Juni 1913
Der gestrige 27. Juni war für unsere Stadt wieder ein trüber Gedenktag, vollendeten sich doch zu diesem Zeitpunkte 25 Jahre, daß am damaligen Ende der Dresdner Straße, da wo die Limbacher*4 und Karl-Straße zusammentreffen, ein Schadenfeuer ausbrach. Am 27. Juni 1888 abends nach 11 Uhr entstand, vermutlich durch Brandlegung, in der Schülerschen Scheune Feuer, das schnell auf das Fleischermeister Bachmannsche Haus übergriff und es vollständig einäscherte. Im letzteren Hause wohnten sechs Familien mit gegen 30 Personen, die einen großen Teil ihrer Habe verloren. Die nahe gelegene Schönländsche Scheune mußte, um ein Weiterverbreiten des Feuers verhindern, niedergerissen werden. Auf den ehemaligen Brandplätzen steht jetzt das Goldschmidtsche und Aschsche Besitztum.