„Schmole Gassen, schiefe Heisle“
So heißt es in einem alten Lied unserer Heimatstadt von Franz Askani. Romantisch klingt das und irgendwie heimelig. Begeben wir uns nun gedanklich auf einen Rundgang durch diese Gassen. In einem jener „Heisle“ kam in der Niedergasse einst ein kleiner Junge namens Karl auf die Welt, deren schiere Hoffnungslosigkeit er, sicher mehr im Unterbewussten, noch erlebt und die er später, nach vielen Irrungen und Wirrungen zum Schriftsteller geworden, seine Helden, die einfachen Weber und Bergleute, in seinem Kolportageroman „Der verlorne Sohn“ erleben lässt. Weniger Meter weiter geht eine „schmole Gasse“ rechts ab, die Lindenstraße, die in früherer Zeit gern zu einem Spaziergang Richtung Logenhaus genutzt wurde.
Lenken wir unseren Weg nun erst einmal nach Hohenstein. Wir sind am Badberg, der seine aufregendsten Jahre als Teil der bekannten Rennstrecke erlebte. Triumphe wurden hier begründet, aber auch Schmerz von Niederlagen und Abschieden empfunden. Folgen wir der Badstraße bergan vorbei am Poetengässchen, am ehemaligen Auto-Lange und am Röhrensteig, erreichen wir auf der Höhe rechter Hand über die Kirschallee eine Gabelung. Links führt die Bernhard-Anger-Straße Richtung Windmühle. Wir gehen, den Friedhof passierend, bergab die Hinrich-Wichern-Straße. Kurz nach der St.-Christophori-Kirche und dem Geburtshaus von G. H. Schubert, das auch unter der Last seiner Jahre ächzt, biegen wir ein in die Karlstraße. Hier könnten wir im Carolagarten verweilen. Auf halber Länge wenden wir uns in den Ziegenberg, dessen kleine Heisten als Absätze den steilen Abstieg etwas mildern. In der Verlängerung laufen wir die Schulstraße hinab, in der man in den 1970er/80er Jahren spätnachmittags bei einem Besuch im Bürgergarten beim „Menzel Kurt“ gelegentlich einige Lehrer der gegenüberliegenden Lessing-Oberschule beim feierabendlichen Skat antreffen konnte.
Zurück in Ernstthal, vorbei an der Badegasse, auf der sich ja wirklich einmal das Bad Ernstthal befand, kommen wir zur jüngeren Ottostraße. Auf dieser Hangseite schossen noch in den 1960er/70er Jahren in der Winterzeit Scharen von Kindern mit ihren Schlitten etwa über die Brauerwiese oder am Fuchsgrund ins Tal. Abends führte einige von diesen ihr Heimweg auch zum Lampertusweg oder zur Südstraße zurück. Letztere stadteinwärts gelangen wir schließlich wieder zur Karl-May-Straße, wo unser diesjähriger kleiner historischer Stadtrundgang endet.
An manchem Standort früherer „Heisle“ blüht heute die Landschaft. Könnten wir uns da nicht, bei aller berechtigten Melancholie, ein wenig an dem Gedanken erfreuen, dass am Platz eines maroden Ensembles ein moderner, wenn auch manchem zu moderner, Bau entstehen soll? Eine heutige Rennstrecke möchte doch auch sicher niemand mit einem Belag wie 1927 ausstatten.
In diesem Sinne allen Mitgliedern des Geschichtsvereins sowie allen Geschichtsinteressierten eine friedliche und besinnliche Adventszeit.
Die erwähnten Gassen und Straßen sind Gegenstand des neuen Kalenders des Geschichtsvereins Hohenstein-Ernstthal e.V. „Historische Straßen I“ für 2020, den diesmal zehn Autorinnen und Autoren gestalteten. Der Kalender ist zum Preis von 7,50 € in der Stadtinformation Hohenstein-Ernstthal, in der Klis’schen Buchhandlung und, sobald wieder geöffnet, im Karl-May-Haus erhältlich.
Henry Kreul