November 1912

02. November 1912
Der Stadtrat gibt in auswärtigen Blättern folgendes bekannt: Am 1. Januar 1913 ist hier die Stelle des Direktors der Altstädter (früher Hohensteiner) Schule, bestehend aus Selekta, mittlerer und einfacher Volksschulabteilung, jedoch ohne Fortbildungsschule zu besetzen. Das Diensteinkommen ist das gesetzliche, das Wohnungsgeld beträgt 600 Mark jährlich. Auswärts, aber in Sachsen verbrachte Dienstjahre werden angerechnet. Bewerbungen nebst Zeugnissen wird bis zum 15. November entgegengesehen. Persönliche Vorstellung möchte nur auf Ersuchen erfolgen.

Ende vorigen Monats schied der ständige Lehrer Herr Schleicher von unserer Altstädter Schule, um eine Lehrerstelle in Böhlitz-Ehrenberg zu übernehmen. Heute wurde an seiner Stelle Herr Hans Zesewitz, bisher Hilfslehrer in Rochsburg, von Herrn Schuldirektor Dietze eingewiesen.

03. November 1912
Auf der Bismarckstraße*1 trug sich gestern mittag ein bedauerlicher Unfall zu. Dem 13 Jahre alten Sohn eines dort wohnenden Fabrikwebers, fiel, während er an einem Hause vorüber ging ein Dachziegel auf den Kopf, der durch den starken Wind gelockert worden war. Der Ziegel durchschlug die Mütze des Knaben und verursachte im Kopfe ein tiefes stark blutendes Loch, sodaß die Hilfe eines Samariters in Anspruch genommen werden mußte.

05. November 1912
In der Nacht zum vorigen Sonnabend sind aus dem an das Poetengäßchen stoßenden Garten des Herrn Photograph Hertel, Lichtensteiner Straße 24, fünf Paar Strümpfe von der Leine weg gestohlen worden. Der Täter hatte es jedenfalls auf die „Insassen“ des Hühnerstalles abgesehen, ist aber wohl dabei gestört worden und hat diesen dann in der folgenden Nacht einen besuch abgestattet, Am Sonntag morgen bemerkte der Besitzer das Fehlen einer alten Henne mit neun Jungen, welch letztere am Vormittag aus den Nachbargärten wieder hinzukamen. Der Dieb hat die Stalltür zweifellos mit einem Nachschlüssel geöffnet und wieder geschlossen; man nimmt an, daß, als er sich mit der alten Henne zu schaffen machte, die jungen davongelaufen sind. Die Spuren des Diebes führten durch den benachbarten Heroldschen Garten, wo mehrere Zaunlatten losgerissen sind; dann fand der Täter leicht einen Ausgang durch den Feigschen Garten, dessen Tür offen stand. Von den gestohlenen Strümpfen fand man einen in der Nähe der Badstraße*2. Vorläufig fehlt noch jeder Anhalt für die Person des Diebes. Sachdienliche Wahrnehmungen wolle man der Polizei mitteilen.

09. November 1912
Wie uns Herr Stadtverordneter Gutsbesitzer Ebersbach in Hüttengrund mitteilt, bittet er, von seiner Wiederwahl in das Stadtverordneten-Kollegium absehen zu wollen. Er habe bereits früher in Rüsdorf wie in Oberlungwitz ehrenamtliche Stellungen innegehabt und nunmehr sich auch ein Jahr lang unserer Stadt zur Verfügung gestellt. Er habe aber das Bedürfnis nach Ruhe und bitte, diesem Bedürfnis Rechnung zu tragen.

Der Ortsteil Hüttengrund erhält nun ebenfalls Straßenbeleuchtung, was von dortigen Anwohnern mit Freuden begrüßt wird. Gegenwärtig werden längs der Talstraße Gaskandelaber aufgestellt. Da jedoch, aus gewissen Gründen, die nicht an unserer Stadtbehörde liegen, kein Gas gebrannt werden darf, bedient man sich vorläufig der Petroleumbeleuchtung. Da diese immer noch besser ist, als gar keine Beleuchtung, so werden sich hoffentlich die Hüttengrunder Einwohner für dieses und nächstes Jahr damit abfinden.

15. November 1912
Der Bau der elektrischen Bahn vom hiesigen Bahnhofe ab bis nach Untergersdorf ist nun soweit fertiggestellt, daß in der nächsten Zeit die Probefahrt stattfinden kann. Sie sollte bereits am heutigen Freitag vorgenommen werden, konnte aber nicht vor sich gehen, da leider noch keine Wagen eingetroffen sind. Wie wir hören, sind 10 Betriebswagen und 10 Anhängerwagen in Auftrag gegeben worden. Durch den Bau der elektrischen Bahn hat sich das äußere Bild am hiesigen Bahnhof wesentlich verändert. Gegenüber dem Güterbahnhofe ist eine Ladenhalle errichtet worden. An der westlichen Seite des Personenbahnhofes hat man den Fußsteig am Bahnhofsgebäude verlängert und verbreitert. Gegenwärtig sind wieder Arbeiter damit beschäftigt, einen gepflasterten Fußweg nach der Moltkestraße*3 herzustellen.

Durch das Anpflanzen von Linden an der Dresdnerstraße entlang der sog. Roten Acht ist wiederum ein Schritt zur Verschönerung eines Stadteinganges gemacht worden. Erst wenn – vielleicht in einem Jahrzehnt – die Bäume etwas größer geworden sind, wird man merken, wie viel diese zum Verbessern des Stadtbildes beitragen werden.

29. November 1912
Welch rege Baulust im Jahre 1912 in unserer Stadt herrschte, mag folgende Aufstellung vergegenwärtigen, die am Schlusse des Baujahres gewiß am Platze sein dürfte. Wohnhausneubauten wurden errichtet von den Herren: Scheer auf dem Pfaffenberg, Vetter an der Ecke Schiller- und König-Albert-Straße*2, Müller an der Schönburgstraße*3, Kreher an der Bismarckstraße*4, Gräbner, Semmler, Lohse, Keller, Garbe, Neubert, Korb und Rudolf an der Dresdner Straße, Keller an der Karlstraße, Fichtner am Seidelbergweg, Clauß an der Konrad-Clauß-Straße, Metzner an der Bismarckstraße*3, Winter an der König-Albert-Straße, Gebr. Mehnert an der Dresdner Straße, Franke, Kastl, Hößler und Härtig am Seidelbergweg, Uhlig und die Baugenossenschaft an der Bismarckstraße*3, insgesamt 25, wobei 12 Einfamilienhäuser sind. Außerdem errichtete der Erzgebirgsverein eine Sporthütte, Schott einen Wagenschuppen, Große vollzog einen Scheunenausbau zu Wohnzwecken, Drescher einen Wiederaufbau nach dem Brande, Lehmann und Becker einen Dachausbau. Eine Brunnenanlage schuf Becker für die Färberei. Einen Fabrikneu- bzw. – Umbau nahmen vor Zwingenberger und Gimpel, Lieberknecht errichtete ein Hammerwerk, die Ueberlandbahngesellschaft Verwaltungsgebäude, Güterschuppen, Wagenhalle und Werkstatt. Daneben gab es Neubauten und Vergrößerungen von Wagen- und Geräteschuppen, Ställen und Werkstätten, Veranden- und Balkonanlagen, Schaufenstereinbauten und Vergrößerungen in großer Zahl, sodaß von einem guten Baujahr mit Recht gesprochen werde.

*1 = Bismarckstraße, heute: Friedrich-Engels-Straße
*2 = Badstraße, heute: Paul-Greifzu-Straße
*3 = Moltkestraße, heute: Immanuel-Kant-Straße
*4 = König-Albert-Straße, heute: Conrad-Clauß-Straße
*5 = Schönburgstraße, heute: August-Bebel-Straße

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Oktober 1912

05. Oktober 1912
Einen schweren Unfall erlitt gestern ein hiesiger Einwohner, Herr Färber Böttcher, auf der Goldbachstraße. Er wurde von einem jedenfalls ohne Licht in schnelligster Fahrt daherkommenden Radfahrer umgerissen und stürzte derartig schwer, daß er einen Bruch des Schlüsselbeins und stark blutende Verletzungen am Kopfe erlitt. Infolge des Anpralls mußte auch der Fahrer sein Rad verlassen, er eilte aber dann, ohne sich weiter des Schwerverletzen anzunehmen, unerkannt nach der Stadt davon.

08. Oktober 1912
Herrn Lehrer Heinig war es heute vergönnt, auf eine 25jährige Tätigkeit im Lehramte zurückblicken. Zu diesem Zwecke hatte sich heute Vormittag mit dem Herrn Bürgermeister Dr. Patz als Vertreter der Stadt, Herrn Stadtrat Müller als Vorsteher des Schulausschusses und Herrn Schuldirektor Dietze das Lehrerkollegium zu einer schlichten Feier versammelt. Herr Bürgermeister Dr. Patz gratulierte dem Jubilar, der die erste Knabenklasse leitet, namens der Stadt wie des Schulausschusses und betonte als Resultat der Erziehungsarbeit, daß wohl alle Schüler diesem Lehrer dankbar sein würden, da er stets bestrebt sei, sie vorwärtszubringen. Herr Direktor Dietze erinnert daran, daß er in den zwei Jahrzehnten seiner direktorialen Tätigkeit elfmal Gelegenheit gehabt hätte, Glückwünsche zum 25jährigen Lehrerjubiläum darzubringen – heute werde es wohl das letzte Mal gewesen sein. Dem Jubilar gratulierte er aufs herzlichste, dankte ihm für seine treue Arbeit und wünschte ihm, daß er noch viele Jahre im Dienste der Schule tätig sein könnte. Herr Lehrer Heinig dankte allen für die Beglückwünschung. Gerade in einer Zeit, da die Bestrebungen der Lehrer oftmals falsch verstanden werden, tue die ihm zuteil gewordene Anerkennung besonders wohl. Er verspreche, soweit seine Kräfte reichen, jederzeit weiter arbeiten zu wollen zum Wohle der Jugend. Vom Schulausschuß ward der Jubilar mit einem vom Herrn Musterzeichner Baumgärtel ausgeführten Diplom, von der Bezirksschulinspektion mit einem Glückwunschschreiben ausgezeichnet, während das Lehrerkollegium ihm zu dauernden Gedenken ein wertvolles Silbergeschenk übermittelte.

Ein frecher Diebstahl wurde gestern Sonntag kurz nach 8 Uhr abends in der Paul Elsterschen Eisenhandlung in der Dresdner Straße verübt. Dort hat ein Unbekannter mit einem Stein eine Schaufensterscheibe eingeschlagen und aus der Auslage zwei Revolver gestohlen. Als Täter kommt ein jedenfalls noch fortbildungsschulpflichtiger Bursche in Frage, der von schmächtiger Statur und etwa 1,55 Meter groß sein soll. Er trug einen gelben, mit schmalem blauem Band versehenen Strohhut, dessen schmale Krempe rechtsseitig herabgedrückt war. Diesen Hut hat er bei seiner Flucht am Tatorte verloren. Passanten, die etwa Wahrnehmungen gemacht haben, die zur Ermittlung des Täters führen könnten, wollen diese Angabe bei der Polizeiwache anbringen.

10. Oktober 1912
Im Materialwarengeschäft von Albert Engler, Ecke Logen- und Lungwitzer Straße, wurde am Montag Vormittag zwischen 11 und 1/412 Uhr aus der nichtverschlossenen Ladenkasse ein rundes, aus Rohr geflochtenes Körbchen in der Größe eines Aschenbechers und 3 Mk. Nickelgeld gestohlen. Zur Ermittlung des Täters bietet sich vorderhand sein Anhalt. Die Polizei nimmt sachdienliche Wahrnehmungen entgegen.

17. Oktober 1912
Ein schwerer Unfall ereignete sich gestern auf dem Güterbahnhof beim Abladen von Schienen für die elektrische Bahn. Dem dabei beschäftigten Arbeiter Karl Bernhard Schmidt, der aus Plauen gebürtig ist und hier auf der Limbacher Straße wohnt, stürzte eine Schiene auf den Unterschenkel und zerschlug ihm das Schienbein. Der Verunglückte fand Aufnahme im hiesigen städtischen Krankenhause,

Am Montag hielt ein junger Mensch Einkehr im Weinrestaurant „Zum Niersteiner“. Eine kurze Weile des Alleinseins benutzte er dazu, aus dem Grammophon die Membrane zu stehlen, die einen Wert von 8-10 Mark besitzt. Als dann die Wirtin erschien, bei der er einen Schoppen Wein bestellte, wollte sie ihrem Gaste ein wenig Unterhaltung verschaffen und den Apparat spielen lassen. Schnell wehrte der einsame junge Gast aber ab; er sei kein Freund von Musik und die Wirtin möge sich seinetwegen nicht bemühen. Er hatte auch ganz besondere Eile, um bald wieder fortzukommen, trank seinen Schoppen leer und verließ das Lokal. Erst später wurde sich die Wirtin darüber klar, weshalb der junge Mann „die Musik nicht liebte“.

24. Oktober 1912
In der Nacht zum Dienstag gegen 3 Uhr hat ein Unbekannter von der Schulstraße aus der Einfahrtstor zum Grundstück der Althändlerin Fischer überklettert, ist auf das platte Dach eines Schuppens gestiegen und hat dann eine Fensterscheibe um Seitengebäude eingedrückt. Durch das Erwachen der Hausbewohner ist der Täter, der hier zweifellos einen Diebstahl geplant hatte, gestört worden und eiligst geflüchtet; er entkam leider unerkannt, ehe die Hausbewohner die Verfolgung aufnehmen konnten. Da, wie wir hören in dieser Nacht auch in Rabenstein eingebrochen worden ist, gewinnt es den Anschein, als würde unsere Gegend wiederum von lichtscheuem Gesindel beunruhigt; Vorsicht ist daher am Platze.

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September 1912

1. September 1912
Einer unserer angesehensten und verdientesten Mitbürger, der Gründer und Seniorchef der Firma Robert Meisch, Herr Friedrich Wilhelm Robert Meisch, ist heute morgen 7 Uhr nach langem, schweren Leiden mit Tode abgegangen. Geboren am 4. Juli 1838 zu Nordhausen, kam der Verstorbene im Jahre 1856 als Reisender zur Firma August Layritz nach Ernstthal, um unsere Stadt nicht wieder zu verlassen. Nachdem er sich im Jahre 1865 mit der Tochter des damaligen Baumeisters Emmerich verheiratet hatte, machte er sich im gleichen Jahre selbstständig und fabrizierte zunächst Strickwaren, um alsbald an die Herstellung feiner und feinster Trikotagen, vor allem Unterzeuge, zu gehen. Unter seiner tatkräftigen Leitung wuchs das Geschäft aus kleinen Anfängen zu seiner jetzigen Bedeutung, und wenn heute die Trikotagen-Fabrikation unserer Stadt im In- und Auslande sich eines gleich ansehenden Namens erfreut, so ist es in der Hauptsache das Verdienst des Verstorbenen, der zuerst bahnbrechend für seine durch maschinelle Einrichtung hergestellten Fabrikate wirkte. Aber nicht nur seinem großen Geschäft, auch unserer Stadt und ihren gemeinnützigen Einrichtungen hat der Verablebte Jahre hindurch seine Dienste gewidmet. So war er seit 1865 Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr und später ihr Kommandant, und in den neunziger Jahren gehörte er längere Zeit hindurch dem Stadtrate als Mitglied an. In den letzen Jahren hatte er mehr und mehr der öffentlichen Tätigkeit entsagt, um sich ganz seinem Geschäft zu widmen, für das er ratlos von früh bis abends tätig war. Erst vor wenigen Jahren zog er sich vom Geschäft zurück, das er bei seinem Sohne Herrn Fabrikbesitzer Ernst Meisch, in den besten Händen wußte, ohne jedoch mit dem Geschäft ganz die Fühlung zu verlieren. Wie sorgend er jetzt noch diesem und seinen zahlreichen Arbeitern gegenüberstand, beweisen die reichen Stiftungen, die er erst vor wenigen Wochen gemacht hat, gleichwie er auch durch weitere Vermächtnisse an hiesige Korporationen dartat, daß er mit seiner zweiten Vaterstadt aufs Engste verwachsen war und daß ihr Wohl ihm immer am Herzen lag. Mit dem Verablebten aber geht nicht nur ein umsichtiger Geschäftsmann und ein immer bereiter Freund und Berater seiner Angestellten und Arbeiter zu Grabe, sondern auch eine gerade, ehrliche und vornehme Natur, die in ihrem großen Freundeskreis sich reichen Ansehens und großer Beliebtheit erfreute. Mit Robert Meisch ist einer der letzten aus der geschäftlichen Werdezeit unserer Stadt von uns gegangen, möge ihm, dem unermüdlich Tätigen, der erst im Alter des Psalmisten die Bürde des Geschäfts auf andere Schultern legte, die Erde leicht sein.

10. September 1912
Kaiser Wilhelm passierte heute früh auf der Fahrt ins Manöver unsern Bahnhof. Der kaiserliche Sonderzug bestand aus 7 Wagen, die in der bekannten hellgelben mit blau abgesetzten Farbe gehalten waren. Die Führung des Ganzen hatte Transportdirektor Bahrmann aus Dresden. Der Kaiser zeigte sich nicht am Fenster. Er hielt sich im vorletzten Wagen, von dem fünf Fenster durch Jalousien geschlossen waren, auf.

18. September 1912
Eine Eifersuchtsszene spielte sich dieser Tage gelegentlich eines Fabrikvergnügens auf einem hiesigen Ballsaal ab. Man hatte eine sogenannte „Kußpolonaise“ veranstaltet, wozu u.a. ein junger lediger Mann eine verheiratete Nebenarbeiterin engagierte. Die Polonaise war ziemlich beendet und der letzte Akt – das Küssen – sollte vor sich gehen. Die Paare hatten sich bereits auf die Stühle gesetzt, da erschien plötzlich der Ehemann der Frau auf der Bildfläche, stürzte zwischen die beiden und machte insofern reine Arbeit, als er die Frau und den jungen Mann auseinander jagte und etwas kräftig jede Person nach einer anderen Seite schleuderte. Selbstverständlich wurde die Polonaise sofort abgebrochen, doch nahm das übrige Vergnügen unter Heiterkeit seinen weiteren Verlauf.

20. September 1912
Heute Vormittag scheuten auf der Antonstraße die vor einem Kohlenwagen gespannten Pferde eines hiesigen Fabrikanten vor einem vorüberfahrenden Eisenbahnzug. Die Tiere rissen den eisernen Zaun des an der Lungwitzerstraße gelegenen Stieglerschen Gartens zu einem Teil um. Der Kutscher wurde bei dem Versuche, die rasenden Tiere zu halten, ein Stück geschleift, hat aber keine nennenswerten Verletzungen.

21. September 1912
Wie wir hören, hat der Inhaber der Firma S. Rosenthal & Co., Herr Moritz Falk, das Zehlsche Grundstück an der Ecke der Weinkeller- und Conrad-Claußstraße käuflich erworben, um mit Beginn des neuen Jahres sein umfängliches Geschäft dorthin zu verlegen. Das Haus wird zunächst einem grundsätzlichen Umbau unterzogen, da wie wir weiter hören, sechs große Schaufenster hineingebaut werden sollen. Auch gedenkt Herr Falk das erste Stockwerk des Hauses seinem Geschäft hinzuzuschlagen.

22. September 1912
Die vor kurzem erfolgte Umbezirkung des „Logenhauses“ nach der Stadt Hohenstein-Ernstthal hat zur Folge, daß den Gesellschaften und Vereinen, die dort irgendwelche Veranstaltungen abzuhalten gedenken, nicht mehr jene Schwierigkeiten bei der Beantragung von Erlaubniserteilungen erwachsen, die früher zu überwinden waren. Oft spielt bei Beschlußfassungen über die Abhaltung von Vereinsvergnügen die Lokalfrage die größte Rolle, und so dürfte es in diesem Sinne zu begrüßen sein, daß die Vergnügungsstätten im Stadtbezirk eine Vermehrung erfahren haben.

25. September 1912
Ein aufregender Vorgang trug dich gestern in der 7. Abendstunde am hiesigen Güterbahnhofe zu. Dort sollte für einen Hermsdorfer Fleischer eine in Chemnitz gekaufte Kuh auf einen Viehtransporter verladen werden. Kaum hatte man jedoch den Bahnwagen geöffnet, als das Tier wütend wurde und auf den Bahnkörper sprang. Ein dort stehender junger Mann wollte die Kuh aufhalten, wurde jedoch von ihr niedergeworfen, worauf sie dann den Bahnkörper entlang nach Hüttengrund zu flüchtete. Unterwegs stellten sich dem wütenden Tiere einige Bahnarbeiter entgegen. Aber auch sie mußten ablassen, da das Tier einen derselben niederriß und auch die anderen anzugreifen drohte. Die Kuh lief bis in das Hainholz und schwenkte dann in der Nähe des Bahnblockhauses auf einem Weg nach Hermsdorf zu. Im Dorfe rannte das wütende Tier dann auf der Straße herum, wodurch ein Teil der dortigen Bevölkerung in Aufregung geriet. Von einer größeren Anzahl Männer konnte es abends gegen 9 Uhr endlich festgehalten werden und dem rechtmäßigen Besitzer zugeführt werden.

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August 1912

06. August 1912
In einer der letzen Nächte verunglückte auf der Oststraße ein total betrunkener, ohne Laterne fahrender Radler dadurch, daß er das Gleichgewicht verlor und vom Rade stürzte und liegen blieb. Einige hinzukommende Anwohner hoben den Mann auf und brachten ihn mit vieler Mühe auf die Beine und aufs Rad, wo er nach kurzer Zeit wieder in unsanfter Weise Bekanntschaft mit dem Erdboden machte. Als er wieder aufgehoben werden sollte, gebrauchte er gegen seine Helfer beleidigende Redensarten, sodaß er auf der Straße liegen bleiben mußte. Nach einiger Zeit setzte er seinen Weg selbst fort. Der Mann wollte nach Wüstenbrand.

07. August 1912
Seine Umbezirkung nach der Stadt Hohenstein-Ernstthal feiert das „Logenhaus“ am Mittwoch, den 21. August, durch ein Militär-Konzert mit Ball, worauf schon heute empfehlend hingewiesen sei.

10. August 1912
Schwermut war die Ursache zu einem bedauernswerten Schritt, den eine in der Zentralstraße*1 wohnende Schneiders-Ehefrau gestern nachmittag tat; sie sprang mit ihrem erst im ersten Lebensjahre stehenden Kinde in den Teich an der Staatsstraße nach Wüstenbrand und wäre ertrunken, wenn nicht ein des Weges kommender Radfahrer den Vorgang bemerkt hätte und sofort zur Rettung der beiden verschritten wäre, die auch glücklicherweise gelang. Allgemeines Bedauern wendet sich der betroffenen Familie zu.

In einer der letzten Nächte wurde ein hiesiger junger Mann recht jählings bei einem Stelldichein bei seiner in der Altstadt wohnenden Liebsten von der Polizei gestört und „ausgehoben“. Die Polizei hatte von der Liebschaft Wind bekommen, und wohl oder übel mußte der Verliebte die Wohnung mit recht gemischten Gefühlen verlassen. – Liebesfreud und Liebesleid!

Bergfest 1912.
Zu großen Erwartungen berechtigte der schöne Beginn des Festes, die Bierprobe am Sonnabend, die ein Stelldichein aller Kreise unserer Einwohnerschaft auf dem Pfaffenberge darstellte. In jedem Zelt, in dem das edle Naß dargeboten ward, gabs viel Leben, bis dann die zunehmende außergewöhnliche Kühle die Besucher zwang, geschütztere Stätten aufzusuchen. So bevölkerten sich denn gar bald das Berggasthaus „Zur Bismarckhöhe“ und die geräumige Turnerbundhalle. Im Berggasthaus hatte sich der Männergesangsverein „Arion“ niedergelassen, der die Gäste mit zahlreichen Vorträgen erfreute, und zu diesen Sängern gesellte sich in späterer Stunde noch der „Sängerverein“ der gleichfalls mehrere Vorträge bot. Während es draußen am nachtschwarzen Himmel in einemfort wetterleuchtete ward die Stimmung in den Feststätten immer animierter und, wie es heißt, soll es schon Sonntag gewesen sein, als der „Sonnabend beschlossen“ ward. Und nun kam der Sonntag heran, der allenthalben recht besorgte Gesichter sah. Ein Regenguß folgte dem anderen, und sie waren so reichlich, daß Grund und Boden auf dem Festplatze bös aufgeweicht wurden. Trotz alledem war der Zug nach dem Berge am Nachmittag doch ein recht lebhafter, als der Regen nachließ oder doch wenigstens nur ab und zu einige Schauer niedergingen.

Am heutigen Montag hat man mit dem Abbruch des alten Wirtschafts- und Niederlagsgebäude am hiesigen Bahnhofe durch Herrn Bauunternehmer Gustav Müller begonnen. Das an der westlichen Seite des Bahnhofsplatzes im Bau begriffene neue Niederlagsgebäude geht seiner Vollendung entgegen, doch dürfte bis zur Benutzung noch einige Zeit vergehen. Das alte Gebäude muß dem Schienenstrang der elektrischen Bahn Platz machen.

Am gestrigen Abend gegen 12 Uhr wurden die Anwohner der Schützen- und Schönburgstraße*2 durch weibliche Hilferufe aus der Nachtruhe gestört. Ein auswärtiges Ehepaar war in Streit geraten, in dessen Verlauf der Mann die Frau auf der Schönburgstraße verprügelte und die Frau dabei laut um Hilfe schrie. Ein Anwohner verfolgte das „liebevolle“ Ehepaar, konnte es aber nicht ermitteln, da es in der Dunkelheit verschwand.

21. August 1912
In den Anlagen des Erzgebirgsvereins auf dem Berge finden sich mitunter recht zweifelhafte Elemente ein, denen die Anlagen nur zu allerhand Unfug dienen. So hatten sich gestern nachmittag auf einer Bank unweit des Säuberlichsteins zwei Arbeiterfrauen von hier, mit je einem Kinde niedergelassen; als plötzlich ein älterer Mann, nach seiner Angabe von hier, erschien, sich neben die Frauen setzte und ein Gespräch anfing. Leider wurde der Mann in Redensarten so gemein und aufdringlich, daß beide Frauen schleunigst flüchten mußten.

22. August 1912
In eine fatale Lage geriet gestern mittag in der Antonstraße gerade zu der Zeit, als die Arbeiter sich anschickten, nach Hause zu gehen, ein junges Mädchen, dessen eiliger Gang auf eigenartige Weise behindert ward. Vorwitzig lugte schon seit einer Weile etwas Weißes unter dem Rock hervor, das beim weiteren Ausschreiten immer sichtbarer ward und schließlich ein Fortbewegen überhaupt unmöglich machte. Wohl oder übel mußte das Mädchen zum Gaudium der zahlreichen Straßenpassanten das Kleidungsstück, das man bei Männern unter der Bezeichnung „die Unaussprechlichen“ kennt ausziehen, da sich anders als hinter geschlossener Tür eine bessere Beseitigung nicht ermöglichen ließ. Das gleiche Malheur passierte vor kurzem auch einer Tänzerin auf einem hiesigen Ballsaal.

„Das gab es auch vor 100 Jahren schon…“
In der Sitzung vom 22.05.1912 wurde vom Gemeinderat zu Wüstenbrand unter dem Tagesordnungspunkt 7 folgendes beschlossen:
Zur Vornahme der Erneuerung – und Beschleunigungsarbeiten der Waldenburger Straße erteilte der Gemeinderat seine Zustimmung und bewilligte die hierzu erforderlichen Mittel, die zu ein Drittel von den anliegenden Besitzern zu bezahlen sind.

*1 Zentralstraße = heute Herrmannstraße
*2 Schönburgstraße = heute August-Bebel-Straße

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Juli 1912

02. Juli 1912
In letzter Zeit haben verschiedene Grundstücke in unserer Stadt ihre Besitzer gewechselt. So ist das Haus des Herrn Schuldirektor Dietze in den Besitz des Herrn Horst Layritz und das Grundstück des Herrn Fichtner auf der Schubertstraße vom 1. Oktober d. J. ab in das Eigentum des Herrn Böttchermeister Fritz Kolbe übergegangen.

05. Juli 1912
Ein ehrlicher Knabe ist der 13 Jahre alte Sohn Hermann des Fabrikwebers Herrn Karl Richter, hier, Lungwitzerstraße. Derselbe fand gestern nachmittag auf der Weinkellerstraße fünf Hundertmarkscheine. Kurz entschlossen lieferte das Kind den Fund auf dem hiesigen Rathause ab, gerade in dem Augenblick, als dort ein Lehrling und ein Buchhalter eines hiesigen Baugeschäftes den Verlust meldeten. Der Lehrling war mit dem Einkassieren einer größeren Summe beauftragt worden und hatte in der Hast die fünf „Blauflügel“ auf der Weinkellerstraße verloren. Hocherfreut nahm der betreffende Buchhalter das so schnell abgelieferte Geld in Empfang. Im Kontor des betreffenden Baugeschäftes aber wurde dem ehrlichen Knaben durch den Inhaber der Firma ein ansehnliches Geldgeschenk überreicht.

06. Juli 1912
In schwere Betrübnis gebracht wurde die Familie des Masseurs Hauck in der Schützenstraße durch das plötzliche Verschwinden ihrer 15jährigen Tochter Johanna. Das junge, über sein Alter hinaus kräftig entwickelte Mädchen hatte gelegentlich eines Vereinsausfluges nach Einsiedel dort einen sehr elegant auftretenden jungen Mann kennen gelernt, der es leider nur zu gut verstand, das unerfahrene Mädchen für sich einzunehmen. Zufällig aufgefundene schriftliche Mitteilungen des Unbekannten an das Mädchen bestätigen dies. Leider lassen sich über die Vorgänge vor dem Weggang des Mädchens, das am Dienstag mittag das Haus verließ, während die Eltern in der Verwandtschaft einem Familienfeste beiwohnten, nur Vermutungen anstellen. Zu Freundinnen hat das junge Mädchen geäußert, dass jener junge Herr es mit einem Automobil abholen werde zu einer Fahrt nach Chemnitz, und tatsächlich soll das Auto auch in der Nähe des Neustädter Schützenhauses gehalten haben, die drei männlichen Insassen hätten, so erzählt man sich, das Mädchen mitgenommen. Ob das nun wirklich der Fall ist, ließ sich bis jetzt noch nicht feststellen, wie überhaupt die Wahrheit und Dichtung schwer voneinander zu scheiden ist, denn wenn sich die Fama eines solchen Falles annimmt, so hat die Phantasie des Einzelnen viel mitzusprechen. Wir haben bisher auf eindringlichen Wunsch der schwer besorgten Eltern mit der Veröffentlichung dieser Meldung zurückgehalten, aber hoffentlich führen die Erörterungen dieses Falles doch recht bald zur Ermittlung der Vermißten. Das am 30. März 1898 geborene Mädchen trug ein dunkelblaues Faltenkleid und führt ein hellgraues Winterjackett mit sich, aber keinen Hut. Wer irgendwelche Angaben über den Vorgang machen kann, möge sie den Eltern, Schützenstraße 4, oder der Polizei mitteilen.

07. Juli 1912
Zwei Veteranen der Straße kamen in polizeiliches Gewahrsam. In total betrunkenem Zustande wurde der Gelegenheitsarbeiter Schreiter in der Neustadt aufgefunden und auf der Hüttengrundstraße hatte sichs ein anderer namens Schraps zum Zwecke des Nächtigens in einem Heuhaufen bequem gemacht. Die Polizei verschaffte ihnen ein Nachtquartier zwischen vier Wänden.

09. Juli 1912
Zu den Eltern zurückgekehrt ist die 15jährige Johanna Hauck, deren plötzliches Verschwinden wir meldeten. Die Angelegenheit klärte sich, so wird’s uns versichert, als harmloser auf als sie anfangs anzunehmen war. Das Mädchen hatte nach einer Zurechtsetzung durch die Eltern diesen einfach den Rücken gekehrt und hatte sich in einer Nachbarstadt ein anderes Arbeitsverhältnis gesucht. Von einer „Entführung im Automobil“ kann also keine Rede sein.

11. Juli 1912
Vergangene Nacht entleibte sich durch erhängen in seiner auf der Chemnitzer Straße gelegenen Wohnung der in den 40er Jahren stehende Weber Friedr. Gaam. Schwermut wegen gegenwärtiger Arbeitslosigkeit dürfte der Grund der Tat sein. Als heute früh die Ehefrau Gaams aufstand, fand sie den Gatten an der Türklinke erhängt.

19. Juli 1912
Aufregung gabs gestern abend auf dem Neumarkt. Passanten wollten in der Trinitatiskirche einen Lichtschein beobachtet haben, vermuteten Diebe dort und setzten die Bezirkswache von ihren Beobachtungen in Kenntnis. Es ward auch sofort eine eingehende Durchsuchung der Kirche vorgenommen, aber nicht das geringste Verdächtige gefunden. Schließlich stellte es sich heraus, dass der beobachtete Lichtschein von einer vor der Kirche stehenden Laterne herrührte, der sich an den Kirchenfenstern wiederspiegelte.

24. Juli 1912
Ein Tag trüben Gedenkens ist der morgige 25. Juli. Es ist nämlich 50 Jahre her, daß – am Jakobustage des Jahres 1862, einem Freitag – bei sehr großer Hitze der verheerende Brand in der Obergasse, der jetzigen Dresdner Straße stattfand und den Teil zwischen der Stockschen Fabrik und der Wechslerschen Färberei in einen wüsten Trümmerhaufen verwandelte. Es brannten an der Obergasse neun Häuser mit Hintergebäuden nieder, nämlich an der Dresdner Straße die Stocksche Fabrik, Färber Wechsler, Neubert, Kupferschmiedemeister Hecht, Seifensiedermeister Stock, Oekonom Schüler, Nadelschmiedemeister und Eisenhändler Rother, Kartonagenfabrikant Schlegel und Holzhändler Beck, an der Färbergasse Geringswald Oelßner und Meier. Auf des letzteren Grundstück steht jetzt Grubers Fabrik. Wegen der außerordentlichen Hitze war bei diesem Brande auch die Gottesackergasse und die Neustadt arg gefährdet. Wie jener große Brand zum Ausbruch gekommen, hat sich nie ermitteln lassen.

31. Juli 1912
In vergangener Nacht wurden die Anwohner der Aktienstraße längere Zeit durch Automobillärm erheblich in der Nachtruhe gestört. Der Besitzer, ein Herr aus Chemnitz, gab sich viele Mühe, das widerspenstige Töff-Töff in Bewegung zu bringen, doch trotz vielen Knatterns und Pustens des Motors ging es nicht von der Stelle. Erst nach längerer Zeit besann es sich und man konnte die Heimfahrt antreten.

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Juni 1912

02. Juni 1912
Morgen vollenden sich 50 Jahre, daß im Hüttengrund auf dem sogenannten Schlackenweg die Frau Christiane Friederike Friedrich, geb. Sonntag aus Pfaffenhain vom Blitze erschlagen wurde. Die Angehörigen der Frau ließen zum bleibenden Gedächtnis am Schlackenweg, neben dem jetzigen Grundstück des Herrn Privatmanns Ebersbach, einen einfachen Stein setzen, der noch heute mit folgenden eingehauenen Worten Kunde von dem Unglück gibt: „800 Fuß von hier wurde am 2. Juni 1862 Frau Christ. Friederike Friedrich, geb. Sonntag aus Pfaffenhain vom Blitze erschlagen.“ Der Stein hatte durch den Zahn der Zeit sehr gelitten, wurde aber vor einigen Jahren durch die Nachkommen der Frau erneut in Stand gesetzt. Glücklicherweise ist seit diesen 50 Jahren kein weiterer derartiger Unglücksfall in unserer Stadt zu verzeichnen gewesen; ein Verweis, daß die Blitzgefahr doch nicht so groß ist, als man allgemein glaubt.

05. Juni 1912
Gestern nachmittag verunglückte auf der Dresdnerstraße, unweit der Breitestraße, ein von der Arbeit heimkehrender Radler dadurch, daß ihm ein Hund ins Rad lief. Im selben Augenblick kam ein anderer Radfahrer die Straße entlang, beide stießen zusammen und wurden auf die Straße geschleudert, ohne zum Glück nennenswerte Verletzungen davonzutragen. Leider wurde des ersteren Rad so beschädigt, daß er dasselbe dem Besitzer des Hundes zur Verfügung stellte und ihn schadenersatzpflichtig machen will.

06. Juni 1912
In außerordentlich gefährliche Lage befand sich ein etwa 12jähriger Knabe, der gestern nachmittag gegen 4 Uhr an der Einmündung der Schubertstraße die Lungwitzer Straße auf dem Rad hinabfuhr, als, erst im letzten Augenblick das Hupensignal gebend, ein auswärtiges Automobil um die Ecke an der „Linde“ fuhr. Der Knabe fuhr mit kräftigem Anprall an das Auto und er selbst fiel auf den Vorderbau des Fahrzeuges, dadurch der Gefahr des Ueberfahrenwerdens entgehend. Das Fahrrad kam unter ein Vorderrad des Autos und ward bös mitgenommen, dem Auto wurde der Kühler zertrümmert. Der noch glimpflich abgelaufene Unfall konnte nur deshalb geschehen, daß das Automobil die Kurve gar zu kurz nahm und so dem jugendlichen Radfahrer keine Gelegenheit zum Ausweichen gegeben war.

11. Juni 1912
Den Drang nach Freiheit verspürte gestern nachmittag auf dem Schützenplatz ein Affe eines dortigen Schaustellers. Das Tier schlüpfte eilends durch die Zuschauermenge und nahm über mehrere Zäune der Schützenstraße Reißaus, wo er sich dann im Hühnerstall des Herrn Fleischermeisters Richter verkroch. Das Tier erfreute sich jedoch nicht lange der goldenen Freiheit, denn es wurde schließlich von Angestellten des Schaustellers gefangen und angekettet. – Auf der Rutschbahn trug sich gestern nachmittag ein bedauerlicher Unglücksfall zu. Der 13 Jahre alte Knabe eines in der Neustadt wohnenden Fabrikwebers geriet beim Abrutsch mit einer Hand zwischen eine Welle und den Riemen, wobei er sich zwei Finger schwer verletzte. Der Verunglückte wurde vom Besitzer sofort zu einem Arzt gebracht.

21. Juni 1912
Die „Rote Acht“ kann heute ein Jubiläum begehen: Während Herr Schmiedemeister Mehnert im Jahre 1886 als erstes das jetzt Bohnesche Haus erbaute, wurden die sieben anderen Anwesen alle ein Jahr darauf also vor 25 Jahren errichtet. Sechs davon sind noch in den Händen der damaligen Bauherren. Mit der Errichtung dieser Häuser wurde der ganzen Umgebung, die mit dem gegenüberliegenden alten Gottesacker und dem bewaldeten Höhenzug, der jetzt die „Rote Achte“ trägt, einen einsamen, in der Nachtzeit fast furchterregenden Charakter trug, ein neues Gesicht aufgedrückt, das mit der Schaffung der Parkanlagen ein noch viel schöneres wurde. Ein glücklicher Zufall will es, daß im heurigen Jubiläumsjahre die letzte der Baustellen belegt wird. Der hier entstehende Bau bedeutet fürs Ganze einen endgültigen hübschen Abschluß, der auch dem Meinsdorfer Weg, als dem Aufstieg zum Berg, zustatten kommen wird.

22.06.1912
Durch den Bau eines zweiten Zwölffamilienwohnhauses an der Bismarckstraße und dem sogenannten Schlackenweg, welches die Baugenossenschaft gegenwärtig ausführen läßt, mußte bekanntlich der Schlackenweg am oberen Teil weiter nach dem Martin Lutherstift verlegt werden und so entspann sich über den Weg in der letzten Stadtverordnetensitzung eine umfangreiche Debatte. Vor einigen Tagen hat nun die Baugenossenschaft den seitherigen Weg ganz verschlossen und dafür den neuen Weg direkt durch ihr Grundstück gelegt, wodurch das dortige Straßenbild ein verändertes und weit gefälligeres geworden ist. Der Schlackenweg geht nun zwischen dem 1. Wohnhaus der Baugenossenschaft und der Selbmannschen Villa durch, durchschneidet das Grundstück des Landwirts Bauer unterhalb dessen Scheune und mündet mehr in gerader Linie in den alten unteren Schlackenweg ein. Auf dem Genossenschaftsgrundstück wurde der neue Weg auf Vereinskosten mit Packlager versehen, während der Teil am Bauerschen Grundstück auf Stadtkosten hergerichtet wird. Durch die Verlegung ist der Weg nun etwas kürzer geworden, was von Nutzen für Passanten ist.

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Mai 1912

03. Mai 1912
Am vorigen Freitag erschien bei einem Bäcker in der Lichtensteiner Straße ein angeblicher Malergehilfe Fritz Schmidt aus Düsseldorf und logierte sich dort ein. Unter dem Vorgeben, seine Papiere von auswärts holen zu wollen, borgte er sich des Bäckers Fahrrad und machte sich auf und davon; er ist bis heute noch nicht zurückgekehrt. Der Mann ist etwa 26 Jahre alt, von schmächtiger Gestalt, hat blonden Schnurrbart, braune Gesichtsfarbe, trägt schwarzen steifen Filzhut und grauen Jackettanzug. Das Rad, Marke „Superior“, hat schwarzen Rahmenbau und weiße Felgen.

07. Mai 1912
Unser Berghaus hatte gestern einen wichtigen Tag: Nicht nur, daß sich der herrliche Maisonntag in zahlreichem Besuch äußerte – von früh bis spät ist der Berg nicht eine halbe Stunde ohne Ausflügler und Spaziergänger gewesen -, sondern die vom ersten Bergfest her noch in schöner Erinnerung stehenden roten Gartenschirme spannten das erste Mal für diesen Sommer ihre schützenden Zelte aus und gaben dem Ganzen einen reizvollen Anstrich. Ihr Aufstellen mag ausdrücken, daß die Zeit der Ausflüge nicht ohne merkbare Spuren für unsere Stadt bleiben möge – ob sich nicht gestern schon die einsetzende Zugkraft unserer Bergschöpfungen auch in der übrigen Stadt bemerkbar gemacht hat? -, daß vor allem die einzigartige Fernsicht von unserem Höhenrücken mehr und mehr bekannt werden möge. Die zahlreichen Fremden, die sie gestern das erste Mal genossen, haben unauslöschliche Eindrücke mit fortgenommen.

10. Mai 1912
Frau Karoline verw. Selbmann, die 26 Jahre lang als Hebamme der Einwohnerschaft von Ernstthal bez. Hohenstein-Ernstthal ihre Dienste gewidmet hat und zurzeit in Eppendorf im Ruhestand lebt, wurde von der Stadtverwaltung in dankbarer Anerkennung der bewiesenen Treue und Anhängigkeit ein Ehrendiplom verliehen.

14. Mai 1912
„Hallenweihe des Turnerbundes“
Wetterglück! Wahrlich, unser Turnerbund muß bei dem himmlischen Wettermacher gut angeschrieben stehen, sonst hätte sein Fest unter so günstigen äußeren Umständen kaum stattfinden können! Noch am Sonnabend sah es keineswegs verlockend aus. Abends regnete es etwas und in der Nacht wurde es auf einmal unter dem Einfluß einer südwestlichen Luftströmung so warm, daß man für den Sonntag das Schlimmste befürchten mußte. Und doch wurde es ein herrlicher, nur etwas zu heißer Frühlingstag, der de, Feste den programmmäßigen Verkauf gestattete. Lustig blähten sich im Morgenwind und Sonnengold die Flaggen und Girlanden, die in allen Straßen den festlichen Tag begrüßten und schon in der zwölften Mittagsstunde zog Verein auf Verein in unsere Stadt ein, um an den Festlichkeiten teilzunehmen. Und gegen 2 Uhr bewegten sich Tausende von Menschen in den Straßen und alles zog hinauf auf den Berg, wo schon von weitem die Turnhalle und das Berghaus grüßten. Daß die Halle die Teilnehmer an dem für unsere Verhältnisse riesigen Festzug nicht fassen würde, war vorauszusehen, nicht aber konnte man ahnen, daß die Halle schon von Hunderten besetzt war, ehe der Festzug überhaupt nach dem Berge kam. Richtiger und den Begriffen der Weihe entsprechender wäre es wohl gewesen, wenn der Kommers am Sonnabend noch gar nicht in der – ja erst noch zu weihenden – Halle, sondern vielleicht im Altstädter Schützenhaus stattgefunden hätte, wenn die Halle bis zur Ankunft des Festzuges verschlossen gewesen wäre und dann nach der feierlichen Uebergabe der Schlüssel sich die Halle mit fremden und hiesigen Turnern gefüllt hätte. So hatten sich in der Halle unzählige Kinder, einzelne Personen in sehr saloppen Kostümen und junge Leute beiderlei Geschlechts, die zur Turnerei in keiner oder nur in sehr schwacher Beziehung standen, eingefunden und die Turner, für die doch zuerst hätte Platz sein sollen, mußten sich drängen und drücken, um überhaupt von der Weihe etwas wahrzunehmen. Und während der feierlichen Handlung fand Gehen und Kommen statt, so mancher wußte noch nicht, daß man in einem Saale den Hut abzunehmen hat, kurz, es ging nicht so würdig zu, wie es hätte sein sollen. Aber, das sind Dinge, die heute zu den geschehenen gehören und der Vergessenheit anheimgegeben werden sollen. Prächtig war das Bild, das sich nach der Weihe auf dem Turnerplatz entwickelte; die Hunderte von kräftigen jugendlichen Gestalten, die im Wetteifer bestrebt waren, ihr Können zu zeigen, die Tausende festlich gekleideten Menschen, die dem turnerischen Wettstreit zusahen und oft ihren Beifall kundgaben, dazu die herrliche, frühlingsgrüne Natur, die den ausgedehnten Platz umsäumte: Alles in allem ein Bild, wie es nur wenige Städte im Sachsenlande zu bieten vermögen, ein Bild, das sich auf Jahre hinaus dem Gedächtnis unauslöschlich einprägt.

23. Mai 1912
Recht unkollegial benahm sich ein hiesiges junges Mädchen gegen eine auf dem Altmarkt wohnende verheiratete Nebenarbeiterin. Sie stahl aus den in der Fabriksgaderobe hängenden Kleidern der letzteren den Wohnungsschlüssel, verließ die Arbeitsstätte für einige Zeit, öffnete die Wohnung und durchwühlte sämtliche Schränke und die Kommode vermutlich nach Geld, ohne solches zu finden. Dann ging sie wieder an ihre Arbeit und steckte den Schlüssel wieder in der Garderobe in die Kleider. Als am Nachmittag die Frau nach Hause kam, wurde sie sofort gewahr, dass unberufene Hände nach Sehenswertem gesucht hatten, denn das Mädchen hatte die Wohnung in der größten Unordnung zurückgelassen. Das Mädchen gestand schließlich den Diebstahlversuch ein, da sie sich zuvor verdächtig gemacht hatte.

30. Mai 1912
Gestern mittag machte ein in der Neustadt wohnender Musiker bei einem Spaziergang über die sogenannten „Waldplätze“ an einem auf Wüstenbrander Flur (zwischen der fiskalischen Straße und dem Bahnwärterhäuschen) gelegenen Teiche einen grausigen Fund. Er fand, im Wasser liegend, einen Menschen tot vor, der ungefähr 35-38 Jahre alt sein mochte. Er zog den Körper aus dem Wasser und meldete dann den Fund im Wüstenbrander Gemeindeamt, welches für Aufhebung und Überführung der Leiche nach der Totenhalle sorgte. Jedenfalls hat der Mann den Tod freiwillig gefunden, denn man fand in seinen Kleidern Papiere, auf den Namen eines Tiefbauarbeiter Dreißig aus Chemnitz-Hilbersdorf, sowie einen Abschiedsbrief an seine Frau und Familie und ein Rasiermesser. Geld hatte er nicht bei sich. Der Körper hat jedenfalls schon einige Tage im Wasser gelegen.

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April 1912

02. April 1912 – Karl May †
Wie uns heute mittag ein Telegramm aus Radebeul mitteilt, ist der Schriftsteller Karl May heute dort gestorben. Kaum von schwerer Krankheit genesen, weilte er erst noch in letzter Zeit in unserer Stadt, um für eine Prozess gegen seinen langjährigen Gegner Lebius hier tätig zu sein, am 16. April stand in seiner Angelegenheit gegen Lebius vor dem hiesigen Kgl. Schöffengericht Termin an: nun hat ihn der Allbezwinger Tod niedergerungen und ihm die Feder aus der müden Hand genommen. Neben den aufrichtigen und leidenschaftlichen Freunden hat Karl May in seinem Leben in gleichem Maße erbitterte Gegner gefunden und die letzten Lebensjahre haben ihm durch die unaufhörlichen Prozesse, die alte längst verjährte Jugendsünden wieder an das Tageslicht zerrten, seelische Qualen gebracht, die an seinem Mark und Kraft zehrten. Von der parteien Gunst und Hass verwirrt, schwand sein Charakterbild in der Geschichte: wir werden morgen in einer eingehenderen Würdigung unserem Landesmanne gerecht zu werden versuchen, der, man nehme alles nur in allem, ein nicht alltäglicher Mann war und als Schriftsteller Millionen für sich begeistert hat.

04. April 1912
In dieser Woche wird der begonnene Umbau im Etablissement „Hüttenmühle“ beendet sein und so kann die Einweihung an den Osterfeiertagen erfolgen, während der weiter vorgesehene Umbau später ausgeführt wird. War das oben genannte Etablissement schon seit Jahren ein beliebter Ausflugsort für Einheimische und Fremde, so wird jetzt, nach der Erweiterung, der Zuzug noch ein bedeutend größerer werden. Der Saal ist mit prächtiger Malerei ausgestattet; hier haben wirkliche Künstlerhände geschafft, deren Arbeiten auf jeden Besucher einen wirksamen Eindruck zu machen. Die Malereien sind vom hiesigen Malermeister Herrn Rudolf Viehweg ausgeführt worden. Wir wünschen dem rührigen Besitzer des Etablissements auch in seinem neuen Unternehmen recht guten Erfolg. Näheres belegen die Inserate in der nächsten Nummer des „Tageblattes“. – Postkarte Hüttenmühle –

10. April 1912
Gestern nachmittag gegen sechs Uhr fiel ein etwa fünfjähriger Knabe in einen Teich in der Nähe der Bleicherei Hüttenengrund. Das Kind wäre zweifellos ertrunken, wenn nicht Herr Schneider Schüppel von hier, der den Unfall mit angesehen hatte, herbeigeeilt wäre und den Kleinen dem nassen Element entrissen hätte. So kam das Kind mit dem Schrecken davon.

12. April 1912
Heute früh kurz nach 2 Uhr entstand im Hotel „Schweizerhaus“ am Bahnhof ein Brand, der aber glücklicherweise bald gelöscht werden konnte. In einem Raume neben der Stube des Hausdieners lagert verschiedenes Gerümpel, leere Weinflaschen, Strohumhüllungen dazu usw. Ueber diesen Raum führt ein tönerenes Ofenrohr in die Esse, und man nimmt an, daß durch dieses Rohr der Brand entstanden sein kann. Beide Kompagnien unserer Freiwilligen Feuerwehr waren bald zur Stelle und ihren Bemühungen gelang es, den Flammen Einhalt zu tun. Der Brandschaden ist wie bei dem gleichen Anlaß im vorigen Sommer, gering.

16. April 1912
In der Nähe der Zentralstraße fiel gestern ein frei herum laufender größerer Wolfspitz einige Passanten an. Während erwachsene Leute das bissige Tier durch brennende Zigarren und Stöße vom Leibe halten konnten, wurde ein 14jähriger Knabe von der Oststraße von dem Köter ohne jede Veranlassung in die Beine gebissen. Der Vorgang wurde dem Besitzer des Tieres durch Augenzeugen gemeldet und der Knabe entschädigt. Besser wäre es aber doch, wenn solche tierische Wegelagerer an der Leine geführt würden.

19. April 1912
Gestern abend in der 9. Stunde entstand vor dem Eckhaus der Bismarck- und Schillerstraße ein größerer Menschenauflauf, veranlaßt durch einen 13 Jahre alten Jungen, der aus den Fenstern eine zeitlang um Hilfe schrie, da sich nach seinen Angaben im Hause ein fremder Mann befinden sollte. Während ein junges Mädchen auf die Polizeiwache rannte, um Hilfe zu holen, machten sich zwei Männer im Haus auf die Suche nach dem Eindringling; auch die Polizei suchte später mit, fand aber nirgends etwas verdächtiges. Nach längerem Forschen klärte sich schließlich die Angelegenheit auf. In der Nähe des offenen Kammerfensters hing ein – Mantel, der sich im Luftzug hin und her bewegte und in der Dämmerung auf den Jungen den Eindruck machte, daß es ein Mensch sei.

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März 1912

01. März 1912
Für den Stadtteil Hüttengrund ist die Gründung eines neuen Turnvereins geplant, der sich voraussichtlich dem Deutschen Arbeiterturnerbund anschließen dürfte. Dieser Tage fand im Etablissement „Hüttenmühle“ eine Besprechung statt und wurde die Gründung im Prinzip beschlossen und die weiteren Vorarbeiten einer gewählten Kommission übertragen. Dem neuen Verein, der seinen Sitz in der „Hüttenmühle“ nehmen wird, traten bereits gegen 40 Personen bei.

03. März 1912
Herrn Strumpfwirker Friedrich August Degenhardt, Bismarckstraße* 53, der seit über 30 Jahren ununterbrochen im Betriebe der Firma Aug. Clauß tätig ist, wurde vom Königlichen Ministerium des Innern das tragbare Ehrenzeichen für Treue in der Arbeit verliehen. Im Beisein des Herrn Karl Vetter, Mitinhaber der gen. Firma, wurde die Auszeichnung Herrn Degenhardt heute mittag im Rathause durch Herrn Bürgermeister Dr. Patz unter Glückwünschen ausgehändigt.

06. März 1912
Trotzdem in der Presse wiederholt vor betrügerischen Händlern gewarnt wird, machen dieselben noch mitunter recht hübsche Geschäfte und das Publikum fällt, trotz aller Warnungen, gewissenslosen Handelsleuten zum Opfer. Dieser Tage machte ein junger kräftiger Mann, der mit Lilienmilchseife handelte, einige Straßen der Stadt unsicher. Er hatte sich zu seinem Gewerbe einen besonderen Trick zurechtgelegt. Er wollte Ausländer sein und hatte einen geschriebenen Zettel bei sich, daß er der deutschen Sprache nicht mächtig sei, gleichzeitig seine Lilienmilchseife, die einen besonderen Wert haben sollte, pro Stück mit nur 25 Pfg. Verkaufspreis anbietend. Um die Sache noch verlockender zu machen, waren die kleinen Stücken Seife in schön gedrucktem Papier eingewickelt, auf dem ein Verkaufspreis von 50 Pfg. verzeichnet war. Der „billige Ausnahmepreis“ zog und der junge Mann machte gute Geschäfte. Allerdings machten die Käufer später enttäuschte Gesichter, denn die teure Seife war gewöhnliche Sodaseife und hatte höchstens einen Wert von 5 Pfg.

08. März 1912
Ein bedauerlicher Unglücksfall trug sich am Dienstag nachmittag in einem an der Dresdnerstraße, unterhalb des Naturheilvereinsgrundstücks gelegenen Steinbruch zu. Dort belustigten sich mehrere 10-12jährige Knaben beim Spiel, als der 11 Jahre alte Sohn eines auf der Bergstraße wohnenden Postbeamten abstürzte und sich dabei einen schweren Bruch des rechten Unterarmes zuzog. Ein auf der Dresdnerstraße wohnender Samariter leitete dem bedauernswerten Knaben die erste Hilfe und brachte ihn dann zu einem Arzt.

13. März 1912
Die alte Linde auf der Lungwitzer Höhe hinter der städtischen Gasanstalt hat das Zeitliche gesegnet. Mit ihr ging eines jener Naturdenkmäler zu Grabe, die oft ihrer ganzen Umgebung das Gepräge geben, was hier ganz besonders der Fall war. Es ist schade um den Baum. Er war das letzte Zeichen längst vergangener Tage´. Ob es eine Kult- oder Richtstätte gewesen ist, lässt sich nicht feststellen, doch deutete der Standort des Baumes auf einsamer, das Lungwitztal beherrschenden Höhe und der einst vorhanden gewesene Weiher sicher auf dergleichen hin. Von ihrem ehrwürdigen Alter erzählte die Beschaffenheit der Linde. Der Stamm war von oben bis unten in zwei Teile gespalten, deren jeder für sich grünte und blühte. Der Spalt war so groß, daß eine Person bequem hindurchgehen konnte, wie dem überhaupt sich im Laufe der Jahre ein Fußweg gebildet hatte, der sozusagen durch den Baum führte. Was zur Beseitigung auch für Gründe vorgelegen haben mögen, bleibe dahingestellt, es steht nur das eine fest: dergleichen alte Zeugen früherer Jahrhunderte sollten mit mehr Liebe gehegt und erhalten werden. Wir tun uns heute soviel zugute auf unsere Fortschritte, wissen aber nicht, daß wir mit der Vernichtung dessen, was uns die Altvordern hin erließen, ein Stück unserer selbst, unseres Werdegangs, vernichten. Wie von denen, die die Linde einst pflanzten, wird auch von ihr bald keine Spur mehr vorhanden sein, da ist es umso besser, daß unser Stadtmuseum in der Lage ist, den Baum mehrfach im Bilde zu besitzen. Zwei Photographien und eine Zeichnung werden unsern Nachkommen wenigstens den Baum als solchen zeigen, wenn auch leider die Stimmung der engeren oder weiteren Umgebung nicht festzuhalten möglich war.

23. März 1912
Jetzt wirds mit der elektrischen Bahn kräftig Ernst. Schon regen sich fleißige Hände für die ersten Vorarbeiten und Herr Baumeister Richter beginnt bereits mit dem Bau der Verwaltungsgebäude und der Wagenhalle. Der Bau des Gleises wird zugleich von beiden Seiten in Angriff genommen und so gefördert werden, daß im Herbst mit der Fertigstellung der Bahn sicher zu rechnen ist. Wie wir weiter hören, soll morgen der offizielle erste Spatenstich zum Bahnbau erfolgen – eine Tatsache, die all den vielen Zweiflern, die damit rechneten, daß das Projekt überhaupt nicht zur Durchführung kommen würde, zur Beruhigung dienen mag.

26. März 1912
Heute Vormittag gegen 10 Uhr, als das von der Dresdner Straße herkommende Automobil des Fabrikanten Th. Lindner aus Wittgensdorf die Bismarckstraße entlang fuhr, sprang vor der Kreherschen Bäckerei das vierjährige Töchterchen des Härtmeisters Robert Kreul über die Straße und lief direkt in das Auto hinein. Nur dem Umstande, daß das Gefährt wegen des regen Verkehrs auf dem Wochenmarkte ein langsames Tempo einhielt und das Auto fast im Augenblick die Fahrt einstellen konnte, war es zu verdanken, daß dem Kinde kein schweres Unheil widerfuhr. Das Kind ward angefahren, erlitt nur eine Verletzung am linken Bein und zog sich beim hinfallen leichte Verletzungen im Gesicht zu; es ward sofort in ärztliche Behandlung gegeben. Polizeilicherseits ward festgestellt, daß den Fahrer, den Chauffeur M. F. Jahn aus Oberlungwitz, keinerlei Verschulden trifft.

27. März 1912
Zu einer Zeit, da Hilfe glücklicherweise am schnellsten zur Hand war, gegen 6 Uhr abends, brach gestern im Hause des Musterzeichners Karl Drescher in der Oststraße ein Feuer aus, und zwar im Dachstuhl, der auch ausbrannte. Die Feuerwehr war bald zur Stelle und ihrem Eingreifen war es zu verdanken, daß der Brand auf seinen Herd beschränkt werden konnte. Der Familie Reinhold ist verschiedenes Mobiliar verbrannt. Wie es heißt, ist die Ursache des Feuers darin zu suchen, daß in die Esse, die vom Waschhause nach dem Dache führt, ein Balken eingebaut war, der Feuer gefangen und schon lange Zeit vorher geglimmt haben mochte, bis das Hinzutreten von Luft die Flamme entfachte.

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Februar 1912

02. Februar 1912
Der Bau der Turnhalle des Vereins „Turnerbund“ ist nun soweit vorgeschritten, daß die Handwerker im Innern der geräumigen Turnhalle die letzte Hand anlegen und die Arbeiten bald beendet sein werden. Die Leitung des Vereins hofft in spätestens 2 Wochen die Räume zu turnerischen Zwecken benutzen zu können. Mit Beginn des Frühjahres soll dann auch der umfangreiche Turnplatz der südlich der Halle am Bergeshang zu liegen kommt, fertiggestellt werden. Die offizielle Einweihung der Turnhalle erfolgt wie nun bestimmt festgelegt ist, am 12. Mai d. J. Mit dieser Einweihung ist ein großes Sportfest mit Wetturnen verbunden, an dem sich die besten Turner Sachsens beteiligen werden. Die gesamten Baukosten dürften voraussichtlich bald 100.000 Mark erreichen.

04. Februar 1912
Heute mittag verfügten sich die Herren Bürgermeister Dr. Patz und Stadtrat Anger in die Wohnung des Herrn Kaufmann Bernhardt, um ihn davon in Kenntnis zu setzen, daß mit Genehmigung Sr. Majestät des Königs das Königl. Ministerium des Innern ihm Anerkennung seines langjährig verdienstvollen Wirkens als Ratsmitglied der Titel „Stadtrat“ verliehen habe. Der Herr Bürgermeister überreichte die ministerielle Verordnung hierüber und brachte die Glückwünsche der Stadtgemeinde dar.

10. Februar 1912
Eine recht gefährliche Fahrt machte heute nachmittag gegen ¾ 2 Uhr das mit einigen Säcken beladene Köhlersche Geschirr aus dem Hüttengrund. Gerade zu der Zeit, als die meisten Kinder auf dem Wege zur Schule waren, kam das zweispännige Gefährt in schnellstem Tempo die Schulstraße hinein: die auf dem Wagen Sitzenden hatten wohl das Schleifzeug angedreht, die Bremse wirkte jedoch nicht genügend und die Pferde vermochten den Wagen nicht zu halten. Der Zusammenstoß mit dem Gaskandelaber am Eingang zum unteren Schulhause erst machte der tollen Fahrt ein Ende. Hierbei Hierbei kam eines der beiden Pferde zum Stürzen und zog sich am vorderen rechten Oberschenkel eine stark blutende Wunde zu. Der Kandelaber wurde abgebrochen und die Laterne ging in tausend Trümmer. Der Unfall konnte sich leicht schlimmer gestalten, wenn der Zusammenprall mit den Kandelaber nicht erfolgt wäre.

14. Februar 1912
Ein aufregender Vorgang spielte sich gestern mittag an der Dresdner Straße neben dem Gasthof „Goldener Ring“ ab. Vor einem schnell vorüberfahrenden Automobil scheute das Pferd eines dort haltenden auswärtigen Landmannes und rannte mit dem leichten Wagen nach dem Meinsdorfer Weg zu, machte dann Kehrt und raste die Dresdnerstraße hinein, wobei unterwegs der hintere Teil des Wagens verloren ging. Neben dem Geschäftshaus der Firma Bohne u. Sohn kam das scheue Tier zum Stürzen und blieb mit der Wagendeichsel und den vorderen Rädern kurze Zeit liegen. Es sprang schließlich wieder auf, konnte aber durch schnell hinzukommende Leute aufgehalten werden. Zum Glück scheint das Tier keine keine nennenswerten Verletzungen erlitten zu haben. Personen sind auch nicht zu Schaden gekommen. Die Nummer des Autos wurde festgestellt.

18. Februar 1912
An die Zeiten des hiesigen Bergbaues, der bekanntlich gegenwärtig ganz zum Stillstand gekommen ist, erinnert die alte Bergfahne, die der Hohensteiner Knappschaft gehörte und im Jahre 1791 von hiesigen Jungfrauen geschenkt wurde. Sie befindet sich jetzt im Stadtmuseum im Stadthause. Um sie von dem gänzlichen Verfall zu retten – die Seide war nämlich durch das Alter so morsch geworden, daß das Fahnentuch infolge Verlust von Tuchteilen immer unansehnlicher wurde – ist sie auf beiden Seiten mit weitmaschiger Gage belegt und in genügend großen Abständen mit Steppnähten versehen worden. Dadurch wird vor allen Dingen auch, die Fahnenzeichnung, die aufgemalt ist – nur die Jahreszahl 1791 ist in Seidenstickerei angebracht – , auf die Länge hinaus erhalten bleiben. Die Zeichnung weist das Hohensteiner Bergwappen auf, das aus zwei schräg zueinander stehenden ovalen Schildern und zum darunter befindlichen Gemälde (Hammer und Schlegel) besteht. Das eine Schild zeigt das sächsische Wappen mit den Kurschwertern, das andere das schönburgische Wappen. Das ganze ist umrahmt von einem Kranz von Eichenzweigen. Das Fahnentuch ist mit gelber und schwarzer Franse eingefasst, dieselben Farben zeigt auch der Fahnenstock. Das alte Wahrzeichen erinnert an die Zeit, da der bergbau unter oder durch den Posamentier Anger aus Grünhain einen kurzen Aufschwung erlebte, welch letzterer erst durch die Napoleonischen Unruhen wieder verebbte. – Übrigens kann bei dieser Gelegenheit empfehlend auf unser Stadtmuseum hingewiesen werden. Was dort in verhältnismäßig kurzer Zeit durch emsigen Fleiß des betreffenden städtischen Beamten und die Unterstützung der Bürgerschaft zusammen gekommen ist, kann sich, so jung auch das Unternehmen ist, sehen lassen. Geräte und Gegenstände aller Art, Bilder aus allen Zeitläufen seit Bestehen der Stadt, Waffen, Bücher, Münzen, alte Schriften und Urkunden, Möbel und Handwerksgerät unserer Voreltern, Hausrat aus der „guten alten Zeit“, kurz alles mögliche, das in seiner Gesamtheit ein getreues Bild vergangener Zeiten darstellt, findet man hier vereint. Leider ist der Raum ein viel zu beschränkter, als daß das einzelne Stück voll zur Geltung kommen könnte. Sicher hat die Stadtverwaltung in absehbarer Zeit mit der Vergrößerung des Raumes zu rechnen. Ein Besuch ist aber auch jetzt schon jedermann zu empfehlen. Er ist kostenlos und muß nur vorher auf der Polizeiwache des Stadthauses gemeldet werden.

24.02.1912
Die Errichtung eines landwirtschaftlichen Gutes hat, wie wir hören, Herr Richard Scheer, Chemnitzerstraße, in Anlehnung an seine Scheune auf dem Pfaffenberge unweit des herrschaftlichen Steinbruches, geplant. Ein geräumiges Gebäude, das Wohn- und Vorratsräume und Stallungen enthalten soll, kommt südlich der Scheune, mit der Front nach der Stadt, zu stehen. Es wird mit seinem Flügelanbau und der dahinter liegenden Scheune den Gutshof umschließen, der nach Osten offen ist, gegen Westwinde aber durch den erwähnten Flügelanbau geschützt wird. Es ist erfreulich, zu sehen, wie die Aufschließung des Berges durch den Erzgebirgsverein erfreulichen Fortgang findet und auch, wie hier, Leute zu Siedlungen veranlasst, die erst inmitten ihrer Grundstücke zu vollem Erfolge kommen werden. Solche Unternehmen können ja nur erst gewagt werden, wenn an Hand von Beispielen die Siedelungsmöglichkeiten bewiesen ist.

25.02.1912
Herr Fabrikant Alfred Zwingenberger hat von der Stadt den größten Teil des an der König Albertstraße neben dem Kgl. Amtsgericht gelegenen Areals gekauft, um auf diesen eine Wirkwarenfabrik zu errichten. Man ist bereits mit dem Wegfahren des oberen Landes beschäftigt und wird schon in den nächsten Tagen mit den Ausschachtungsarbeiten beginnen.

Einen empfindlichen Verlust erlitt vorgestern gegen abend der Besitzer der „Roten Mühle“, Herr Otto Uhlig; dieser hatte seinen 13-jährigen Sohn beauftragt, von der hiesigen Sparkasse 100 Mark abzuheben. Als der Junge auf dem Heimweg begriffen war, spielten mehrere gleichaltrige Knaben auf dem Altstädter Schützenplatz Fußball. Der kleine Uhlig schloß sich den Spielern an und legte sein Portemonnaie mit den rund 100 Mark in Gold vorläufig auf den Erdboden, zur Sicherheit noch die Mütze darauf deckend. Als das Spiel beendet war und der Knabe das Geld wegnehmen wollte, war es verschwunden, irgendein Langfinger hatte es unterdessen gestohlen, während das Sparkassenbuch noch dalag. Hoffentlich sind die polizeilichen Recherchen nach dem Dieb von Erfolg.

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