01.September 1911
Das Berggasthaus unseres Erzgebirgsvereins naht sich seiner Vollendung, sodaß es gegen Ende September seiner Bestimmung wird übergeben werden können. Gestern bereits haben die Maurer ihr Arbeitsgerät zusammengeräumt und fortgeschafft und die anderen Gewerken werden bald folgen. Jetzt sind die Maler an der Arbeit, um die Innenräume anheimelnd zu gestalten, während in den oberen Geschossen Zimmerleute, Tischler und Schlosser die letzte Hand anlegen. Freilich wird noch längere Zeit vergehen, ehe der Bau und seine Umgebung soweit Gestalt angenommen haben, daß man von ihrem „Fertigsein“ reden kann. Vor allem haben die im Frühjahr neu hergestellten Anlagen durch die beispiellose Dürre dieses Sommers so gelitten, daß ein großer Teil der Anpflanzungen, vor allem die edlen Ziehölzer, eingegangen sind und im nächsten Jahr durch neue ersetzt werden müssen. Auch wird die nähere Umgebung des Hauses noch insoweit zu planieren, zu beschottern und mit Kies zu belegen sein, daß sie im kommenden Sommer mit Tischen besetzt werden kann. Im ganzen aber herrscht – vor allem von Besuchern von außwärts – nur eine Stimmer der Anerkennung über die Schönheit des Baues, der unserer Stadt einen Anziehungspunkt geschaffen hat, der seine Werbekraft hoffentlich recht ausgiebig zur Geltung bringen wird.
Ein aufregender Vorgang, der aber glücklicherweise ohne Unfall verlief, spielte sich gestern abend gegen ½ 7 auf der Moltkestraße ab. Das vorschriftsmäßig abgesträngte Pferd eines auswärtigen Fleischermeisters, der mit seinem Geschirr vor den „Drei Schwanen“ am Altmarkte hielt, wurde plätzlich, wahrscheinlich durch Fliegenstiche, unrugih und nahm Reißaus. Auf seiner Flucht bog es bei Herrn Liebmann in die Moltkestraße eim, raste mit dem Wagen auf dem Fußsteig fort, kam aber bei Herrn Fleischermeister Bauer, als der Wagen an einem Baum anprallte, zum Stürzen, wobei die Deichsel abbrach und der Strang riß. Das Pferd erhob sich sofort wieder und stürmte weiter, wurde dann jedoch in der Nähe der Engelmann´schen Schmiede aufgehalten, ohne Schaden angerichtet zu haben. Auf der Moltkestraße hielten sich zur Zeit zahlreiche Kinder auf, die sich aber sämtlich vor dem Durchgänger in die anliegenden Häuser retten konnten.
06. September 1911
Am gestrigen Montag in der 5. Morgenstunde wurde im Schürerschen Grundstück an der Goldbachstraße (Viehof) ein Brand bemerkt, der einige Ballen Torfmull eingerissen hatte. Sofort aufgenommene Löschversuche durch Herrn Hilfsweichensteller Löffler und Herrn Schürer waren von Erfolg, sodaß der Schaden nicht bedeutend ist. Der Torfmull gehörte einem hiesigen Futtermittelhändler. Als Brandursache nimmt man Funkenflug von einer Lokomotive oder aber vom Beckschen Brande an; letztere Annahme dürfte schon um deswillen wahrscheinlicher sein, als ja der Torfmull schwer und langsam brennt.
08. September 1911
Gegenwärtig wird die letzte Hand an die Fertigstellung des Zierbrunnens auf dem Altmarkt gelegt. Das Baugerüst ist beseitigt und es wird nur noch eine Granitschwelle um das große Wasserbecken gelegt. Der Inbetriebsetzung des Brunnens steht also nichts mehr im Wege. Wie wir hörten, ist geplant, vorderhand das Wasser nur Sonntags und zu Festlichkeiten laufen zu lassen; diese Maßnahme ist durch die noch immer anhaltende Trockenheit bedingt. In diesen Tagen ist der Brunnen schon mehrmals in Betrieb gewesen zur Prüfung der Dichtigkeit des Beckens. Demnächst werden an den Böschungen hinter der Anlage noch einige Veränderungen vorgenommen.
Vorgestern abend hat ein Lehrling eines hiesigen Kontors unter Mitnahme von rund 280 Mk. das Weite gesucht. Der Junge hing gern romantischen Ideen nach und wollte in die ferne Welt. Der leichtsinnige Mensch, der über seine Eltern schweres Herzeleid gebracht hat, wird kaum weit kommen.
09. September 1911
Unsere Vermutung, daß der junge Mensch, der am Dienstag unter Mitnahme fremder Gelder von hier flüchtig geworden war, nicht weit kommen werde, hat sich bestätigt. Er hatte bei Verwandten in Eisenach Zuflucht gesucht, die seine Ankunft nach hier meldeten. Ob und welche Strafe den Leichtsinnigen für sein Vergehen treffen wird, steht noch dahin.
29. September 1911
Einem glücklichen Zufall ist es zu verdanken, daß gestern ein junges Menschenleben vor der Vernichtung bewahrt blieb und ein bedauerlicher Schritt, dem Leben selbst ein Ende zu machen, vereitelt werden konnte. Als ein alter Holzhändler nachmittags gegen 4 Uhr auf seinem Gange in die Häuser auch in die Wohnung des Wirkers K. in der Herrmannstraße kam, fand er die Stube voller Gas und auf einem Stuhle sitzend die fast leblose Gestalt der 19jährigen Tochter Ella. Sofort alarmierte der Mann die Hausbewohner- das Mädchen war allein zu Hause-, und dank schneller Hilfe gelang es, den beabsichtigten Selbstmord zu verhüten. Das Mädchen hatte den Gashahn am Kocher in der Wohnstube geöffnet, den Zuleitungsschlauch in den Mund genommen, sich auf einen Stuhl gesetzt und so sein Lebensende erwartet. Die Lebensmüde hat jedenfalls nicht lange so gesessen. Nachdem schnell Hilfe herbei geholt worden, schaffte man die Bewußtlose ins Freie, gab ihr schleunigst Brechmittel ein und holte ärztliche Hilfe herbei. Nicht lange dauerte es, und das Mädchen gab wieder Lebenszeichen von sich. Es hätte nur noch einiger weiterer Minuten bedurft und es wäre nicht möglich gewesen, das Leben des Mädchens zu retten. Als ein glücklicher Umstand ist es zu bezeichnen, das die Lebensmüde von einem Verschließen des Zimmers abgesehen hatte. Was dem Mädchen den unseligen Gedanken eingegeben haben mag, darüber ergeht man sich lediglich in Vermutungen – möglich, daß der Entschluß, zu sterben, einer Liebesgeschichte entsprungen ist. Die Ella K. war in einer hiesigen Fabrik tätig und hatte gestern vorzeitig die Arbeit verlassen. Da die Mutter und der jüngere Bruder der K. ihrer Arbeit nachgingen und der Vater im Krankenhause liegt, blieb der Vorgang unbeachtet, bis dem alten Holzhändler die Rolle des Retters aus höchster Not zufiel. Gegenwärtig ist das Mädchen aus aller Gefahr und sein Befinden ein den Umständen angemessen gutes.